Erfahrungsbericht Helferwochen: Helden in Gummistiefeln

Ich liebe die deutsche Sprache. Vor allem liebe ich es, wenn sie mich überrascht, wenn sie mir (plötzlich, unerwartet, nach all den Jahren) noch ein neues Wort schenkt. Und noch viel toller ist es, wenn ich dieses neue Wort nicht nur hören, sondern es mit allen Sinnen erfahren darf. Wenn ich ihm – sozusagen – semantisch so richtig auf den Grund gehen kann. Ach ja, überhaupt. Auf den Grund gehen. Das klingt doch nach einem Abenteuer. Tiefsee-Taucher gehen da hin, Forscher, über Bord geworfene Steine und Anker, U-Boote und früher einmal auch unglückliche Mädchen, die ein uneheliches Kind von ihrem heimlichen Geliebten erwarteten. Sie „gingen ins Wasser“ und dann auf den Grund. Und seit  letztem Samstag tun das auch die Mitarbeiter der Sparkasse Regensburg.

Wasserdicht verpackt!

Doch nicht aus Not, nein, nein. Sondern vollkommen freiwillig, in ihrer Freizeit. Denn das ist der Zweck der guten Sache, die alle zwei Jahre von unserer Sparkasse organisiert und in Zusammenarbeit mit regionalen Vereinen und Einrichtungen realisiert wird: die Helferwochen. Dabei geht es ums Ehrenamt, um soziales Engagement und Solidarität, um tatkräftiges, gelebtes Miteinander, jenseits von Pflicht und reinen Geldleistungen. Alles tolle Dinge, die ich gerne unterstütze. Aber mal ehrlich, unter uns:  Es ging mir, als ich mich vor einigen Monaten bei der Aktion meldete, natürlich auch um Action, Aufregung, Thrill und Abwechslung vom Büroalltag. Fern vom Bildschirm sollte mein Helferwochen-Projekt sein, raus aus den geschlossenen Räumen sollte es gehen, mitten in die Natur und ab an die frische Luft und die warmen Sonnenstrahlen, die ich in den letzten Wochen und Werktagen viel zu oft nur aus Jalousien heraus bewundern durfte. Eine echte Männeraktion sollte es werden! HWZeitlarn 007 klein

Nach diesen Kriterien durchforstete ich die über 50 Projekte, die mir dieses Jahr zur Auswahl standen: Hochbeete bauen, Barfußpfade anlegen, Sportplätze sanieren, mit Senioren im Wald spazieren gehen, Zäune errichten, Hüttchen renovieren, Abdeckplatten anschrauben, auf sanden, instand setzen, anschrauben, abreißen, STOPP. Da war es: „Reinigung des Lohealtwassers bei Laub/Zeitlarn von Müll und Unrat“. Das klang dreckig, mühsam, hart und gefährlich. Nach Stechmücken, Untiefen und schrecklichen Entdeckungen im tiefen Morast und Moor. Und Laub lag auch noch in der Nähe meines Heimatdorfes und gehörte zum Regen, einem wirklich schönen Fluss, auf dem ich viel Zeit mit meinem Kajak verbringe. Das war es!

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Die Zeit verging. Und ehrlich gesagt: Als Anfang letzter Woche eine Mail vom Leiter der Sparkasse Zeitlarn bei mir eintraf, in der die Rede von Gummistiefeln, warmer und regenfester Kleidung war, spürte ich erst einmal wenig Begeisterung. Klar, ich erinnerte mich düster: Ich hatte es ja selber so gewollt. Aber Wasser von unten und von oben und das auch noch mit einer vom Wetterdienst angekündigten Kaltfront im Juli? Davon war nichts im Kleingedruckten gestanden! Aber: Kneifen galt  nicht! Und so trafen wir uns alle wie vereinbart vergangenen Samstag. Eine kleine, unerschrockene Sparkassentruppe, Punkt neun Uhr morgens vor der Geschäftstelle in Zeitlarn, standesgemäß in Rot-Weiß gewandet:  vier Jungs und ein Mädel, kräftiges Händedrücken, coole Sprüche. Private Infos wurden rasch gewechselt, dann gab es einen Autotausch und es ging weiter, zum Ort des Geschehens, wo uns die schon sehr professionell eingekleideten Kollegen des 1. Anglerklub Regensburg e.V. mit noch viel festerem Händeschütteln und forschenden Blicken begrüßten. Die erste bange Frage: Würden wir (Stephan Albrecht, Oliver Dunst, Daniela Marischler, Thomas Beck, Andreas Laumbacher und meine Wenigkeit) überhaupt den Ansprüchen dieser kräftigen, wind- und wettergegerbten Gesellen genügen?

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Der Himmel war bedeckt, zumindest regnete es nicht. Die Luft war warm. Ich spürte: Wir waren alle fest entschlossen, den Vereinskollegen zu zeigen, was echte Möglichmacher drauf haben! Und, bevor ich mich melden konnte, waren drei meiner Kollegen schon hochmotiviert in überdimensionierte und wasserdichte Hosen gestiegen, in denen sie so lustig aussahen, wie riesengroße Babys, die im Winter zum Spielen vor die Tür geschickt wurden. Herzhaftes Lachen erklang,  und dann ging es für die „Schnelle Eingreiftruppe“, vollständig ausgerüstet, im Gänsemarsch durchs hohe Gras und die Brennesseln zum berühmt-berüchtigten Lohealtwasser, dass sich uns bereits durch einen intensiven Duft von Ferne ankündigte. HWZeitlarn 027 kleinEine üble Mischung aus dreckigem Abwasser, schimmligem Holz und  fauligen Gasen  stieg uns in die Nase, und als wir vor dem vergrützten Tümpel standen, ahnten wir, was uns in den nächsten Stunden erwartete: viel Dreck, Feuchtigkeit, Schweiß und kraftraubende Arbeit. Denn der zu reinigende Wasserarm war voll von angeschwemmten Hölzern, Baumstämmen, Ästen, Tischplatten, Türen und Brettern und unzähligen anderen Dingen, wie zum Beispiel Styroporresten, Plastiktüten, Legobausteinen, Sprühdosen, Fußbällen, Schnapsflaschen, Coladosen,  Fahrradschläuchen.

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Und als die ersten von uns bis zu den Achseln im Wasser auf dem Grund herumrutschten und dabei mit den Armen nach Gleichgewicht suchten, fragte ich mich: Wie soll man diese ekelhafte Mischung aus Resten der menschlichen Zivilisation bloß nennen? Die Antwort kam prompt: WOHLSTANDSMÜLL! Da war es, mein neues Wort! Ein schönes, irgendwie auch schaurig und wunderbar deutsch klingendes Exemplar, das ich noch nie zuvor gehört hatte und das mich sofort an Weltuntergang, Weltraumschrott und Zivilisationskrankheiten erinnerte. Es begeisterte mich! Und ich konnte mich förmlich hineinwerfen. Mit viel Schwung und Elan beförderten wir Zahnbürsten, Büstenhalter, FlipFlops und – man glaubt es nicht – auch einen Schwangerschaftstest aus den stinkenden Fischgründen ans Tageslicht. Gab es etwa auch noch in modernen Zeiten unglückliche Mädchen, die „ins Wasser gingen“?

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Als sich dann nach ein paar Stunden Arbeit das Team von TVA auf den Weg zu uns machte, um von diesem Helferwochen-Projekt zu berichten, fantasierten wir mit sehr viel Gänsehaut und Vorstellungsvermögen davon, dass vielleicht doch noch eine unglückliche aber fernsehtaugliche Wasserleiche vom schlammigen Grund aufsteigen könnte. Doch zum Glück blieben wir –  bis auf eine vollgelaufene Hose – von Unglücken dieser Art verschont!

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Am Ende gab es für uns Helden in Gummistiefeln Interviews vor laufender Kamera, viele glückliche Gesichter, warmen Leberkaas, Schokomuffins, kühle Limonade und ganz viele, ehrlich gemeinte Danksagungen. Und für die Fische endlich wieder ein kuscheliges, blitzsauberes Altwasser zum Ablaichen und gut fühlen. Ohne Wohlstandsmüll. Dafür aber mit ganz viel Liebe zum Ehrenamt und der Natur!

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