Aktuelles Börsengespräch mit Matthias Schmidl: „Jahresendrally ab Oktober?“

eingestellt von Fabian Lutz Social Media Manager a.D. am 6. September 2018

Aktuelles Börsengespräch mit Matthias Schmidl: „Jahresendrally ab Oktober?“

 

Jetzt beginnt die spannendste Zeit des Börsenjahres. Denn der Herbst hat Hochkonjunktur in Sachen Wertpapiere, im Positiven, wie im Negativen. Die Zutaten für einen echten Krimi liegen auf dem Tisch, einzig die Signale sind doch recht widersprüchlich. Eine Währungskrise in der Türkei, eine immer noch boomende Wirtschaft in den USA und Deutschland, der drohende Brexit, das politische Chaos im Weißen Haus und die dramatische Lage im Nahen Osten, mit vielen geostrategisch wichtigen Mitspielern, um nur einige aufzuzählen. Da fragt sich so mancher Anleger natürlich, kann das noch eine ganze Weile gut gehen? Gibt es eine Jahresendrally? Oder bringe ich die Gewinne der letzten Monate vielleicht besser mal ins Trockene? Wenn einer darauf gute Antworten weiß, dann natürlich Matthias Schmidl, der Leiter unserer Wertpapierabteilung. Zeit für Orientierung, Zeit für unser Börsengespräch! 

 

Lieber Herr Schmidl, in unserem letzten Interview im März sagten Sie mir, der Wettlauf um die schwächste Währung habe gerade erst begonnen. Wo steht unser guter alter Euro im Rennen? An Platz 1 oder 2? 😉

 

Vorsicht! Dieser Wettlauf ist kein Zweikampf zwischen US-Dollar und Euro. Hier mischen noch einige andere mit. Ein prominentes Beispiel ist der chinesische Yuan, der gerade die letzten drei Monate gegenüber dem Euro, aber auch gegenüber dem Dollar stark abgewertet hat. Die chinesische Notenbank hat hier definitiv nachgeholfen und die Währung bewusst geschwächt, um die negative Wirkung der Handelszölle zu egalisieren. Aber auch andere „kleine Flitzer“ haben auf der Außenbahn überholt. Ich nenne hier nur den brasilianischen Real, den südafrikanischen Rand und als prominentestes Beispiel die türkische Lira. Gerade die letztgenannten Währungen sind allerdings von ihrer Schwäche weit weniger begeistert, als die „großen“ Währungen.

 

Mit einem Stand um die 12.000 Punkte rangiert der Dax gerade sehr nahe der in diesem Jahr so hart umkämpften Marke. Was passiert, wenn die Zahl reißt?

 

Die 12.000 Punkte sind natürlich eine schöne runde Zahl. Marken haben immer eine psychologische Wirkung. Die Charttechniker blicken allerdings auf eine andere Marke, und diese liegt bei etwa 11.860 Punkten. Hier hat sich über die letzten Monate eine wichtige Unterstützung gebildet. Fällt der Index nachhaltig darunter, müsste man von weiteren Rückgängen ausgehen. Das ist aber nicht unser favorisiertes Szenario. Wir glauben, dass die genannte Marke hält und wir ab Oktober in eine dynamische Jahresendrally einbiegen.

 

Die berühmte Deutsche Bank fällt aus dem Eurostoxx 50, die traditionsreiche Commerzbank muss dem StartUp Wirecard im DAX Platz machen. Ist das der offizielle Beginn einer neuen Bankenära im Wertpapiergeschäft?

 

Aus Sicht der deutschen Finanzbranche ist das schon eine sehr traurige Entwicklung. Der Finanzplatz Deutschland hat sich im letzten Jahrzehnt nicht mit Ruhm bekleckert. Aber nun zur eigentlichen Frage: Sowohl die Commerzbank als auch die Deutsche Bank dezimieren ihr Investment Banking stark und verlieren dadurch Ertragskraft und natürlich Expertise. Und waren die genannten Privatbanken noch vor einigen Jahren die Platzhirsche, was das „Wertpapiergeschäft“ am Kunden betrifft, so hat sich dies sicher geändert und die anderen Finanzinstitute, insbesondere die Sparkassen sind hier absolut ebenbürtig oder sogar besser. 😉

 

Das freut mich, schließlich arbeiten wir beide auch hart daran! Die Medien sprechen vom zweiten deutschen Wirtschaftswunder. Übersteht dieser schöne Begriff den harten Faktencheck? Geht es uns Deutschen wirklich so gut wie schon lange nicht mehr?

 

Ja, wir leben derzeit in einer „perfekten Welt“, was unsere wirtschaftliche Verfassung angeht. Leider hat man das Gefühl, dass diese Einschätzung nicht bei unserer Bevölkerung ankommt. Anders kann man sich nicht erklären, dass sowohl Rechts- als auch Linkspopulisten immer mehr Zulauf haben. Die Gefahr liegt meiner Meinung nach darin, dass hinsichtlich Arbeitsplatzsicherheit und gesamtwirtschaftlicher Entwicklung auch einmal wieder in eine andere Richtung gehen kann und wird…..und dann stelle ich mir schon etwas besorgt die Frage, wie dann die Stimmung in Deutschland sein wird.

 

Besteht dahingehend denn Grund zur Sorge?

 

Grundsätzlich kann so etwas auch mal ganz schnell gehen. Ich verweise hier nur auf die aktuelle Entwicklung in der Automobilbrache, die für Deutschland so wichtig ist. Momentan stimmt es mich zudem bedenklich, dass Deutschland sich aktuell ausschließlich mit sich selbst beschäftigt. Wichtige Reformen werden nicht in Angriff genommen oder verzögern sich. Und wer zu lange rastet, der rostet.

 

Apropos Sorgen. Immer mehr Konzerne stellen sich auf einen harten Brexit ein. Mit welchen Szenarien müssen Anleger Stand heute für den März 2019 rechnen? Läuft gerade alles schief, was schieflaufen kann – oder gibt es auch positive Aspekte und ein wenig Licht am Ende dieses langen Tunnels?

 

Für den Anleger dürfte ein harter Brexit das geringste Problem sein. Die Märkte werden auf Unternehmensseite das Risiko schon frühzeitig einpreisen oder haben das bereits getan. Wie die Verhandlungen weitergehen, muss man sehen. Ich hoffe natürlich auf beidseitig vernünftige Verhandlungsergebnisse, um künftig belastbare wirtschaftliche Beziehungen zu pflegen. Allerdings sollte die EU schon hart bleiben und nicht jeder Forderung der Briten nachgeben. Man muss auch mit den Konsequenzen der getroffenen Entscheidung leben.

 

Wie gefährlich ist aus Ihrer Sicht die Währungskrise der Türkei für die europäische Bankenlandschaft?  Kann es über Spanien und Italien zu einem Dominoeffekt kommen, wenn Staatskredite ausfallen?

 

Also es gibt eine italienische und eine spanische Bank die größere Beteiligungen und damit auch Kreditengagements in der Türkei haben. Bei den restlichen Banken, inklusive den Deutschen, ist das Exposure überschaubar. Natürlich kann eine Schieflage diese Banken wieder die Staatskassen belasten, aber das sollte keinen Dominoeffekt auslösen. Hier macht mir mehr die grundsätzliche politische Entwicklung in Italien mehr Sorgen. Mal sehen, welche Entscheidungen in den nächsten Wochen nach der Sommerpause getroffen werden. Hoffen wir besser mal auf pro-europäische Ergebnisse.

 

Was wäre für die Türkei und was für Europa besser? Die Inflation aussitzen oder die Zinsen radikal anheben?

Ich würde eine Kombination aus der Freilassung des US-Pastors und einer massiven Zinsanhebung bevorzugen. Das dürfte die besten Lösung für alle Beteiligten sein. Aber die Hauptakteure in diesem Streit handeln eben nicht rational und sind daher wenig bis gar nicht berechenbar.

 

Lieber Herr Schmidl, vielen Dank für Ihre detaillierten Einschätzungen – wir sind gespannt!