TOP THEMA: Währungskrise in der Türkei
Die türkische Lira steht schon seit Monaten unter Druck. Auslöser für die Währungsschwäche war eine ungeeignete Wirtschaftspolitik, die sich nicht um Stabilitätsziele scherte und einseitig auf Wirtschaftswachstum setzte. So verfehlt die Notenbank schon seit Jahren ihr Inflationsziel von 5%. Im Juli lag die Inflationsrate bei 15,9%. Das Leistungsbilanzdefizit belief sich 2017 auf 5,6% des Bruttoinlandsprodukts und dürfte im laufenden Jahr sogar noch höher ausfallen. Ein so hohes Defizit benötigt Jahr für Jahr hohe Kapitalzuflüsse, die in der Regel, so auch im Falle der Türkei, mit einem deutlichen Anstieg der Auslandsverschuldung einhergehen. In einer solchen Situation müsste eine stabilitätsbewusste Notenbank mit Zinsanhebungen gegensteuern, um die Wirtschaft abzukühlen und die notwendigen Kapitalzuflüsse zu sichern. Doch hat Präsident Erdogan faktisch die Kontrolle über die Zentralbank übernommen und diese notwenigen Schritte verhindert. Die Geldpolitik hat damit ihre Glaubwürdigkeit weitgehend verspielt.
Die jüngste Verschärfung der Abwertung hin zu einer Währungskrise wurde in der vergangenen Woche durch die diplomatische Auseinandersetzung zwischen der Türkei und den USA ausgelöst. Die USA fordern die Freilassung des Predigers Brunson, der in der Türkei wegen des Verdachts festgehalten wird, in den Putsch von 2016 involviert gewesen zu sein. Die US-Regierung hält die Beschuldigungen für grundlos und hat Sanktionen gegen zwei türkische Minister sowie Strafzölle auf Stahl- und Aluminiumimporte aus der Türkei verhängt, um Druck auf die Regierung auszuüben. Beide Maßnahmen treffen die türkische Wirtschaft eigentlich nicht sehr stark, doch sie sind als Zeichen zu werten, dass die enge strategische Partnerschaft der NatoPartner stark beschädigt ist. Im Falle von Finanzsanktionen gegen die Türkei wären die realwirtschaftlichen Auswirkungen immens. Die türkische Regierung will sich jedoch nicht unter Druck setzen lassen und verweigert bislang die Auslieferung Brunsons.
Folgen der Krise für die Türkei
Das Ausmaß der Folgen der Währungskrise für die türkische Wirtschaft hängt stark davon ab, ob und wann die türkische Regierung ihren Kurs ändert. Mit deutlichen Zinsanhebungen und konkreten Maßnahmen zur Abkühlung der Wirtschaft könnte die Lira wohl stabilisert werden. Notwendig wäre aber auch eine Verbesserung des Verhältnisses zu den USA. Die wirtschaftlichen Folgen könnten dann wohl weitgehend auf eine Wachstumsverlangsamung bzw. eine leichte Rezession begrenzt bleiben. Setzt sich dagegen der Abwärtstrend der Lira fort, werden viele Unternehmen, die Fremdwährungskredite aufgenommen haben, diese nicht mehr bedienen können. Steigende Kreditausfälle für die türkischen Banken wären die Folge. Lediglich die türkischen Staatsschulden bieten noch keinen Anlass zu Sorge. Sie belaufen sich auf moderate 28% des Bruttoinlandsprodukts, sodass der Schuldendienst auch bei einer Verschlechterung der Finanzierungsbedienungen tragbar wäre. Aufgrund der hohen Unsicherheit werden internationele Kreditgeber gegenüber der Türkei vorsichtiger, sodass vor allem für Unternehmen und Banken ein Kreditengpass droht. Die türkischen Auslandsschulden, die innerhalb eines Jahres fällig werden, beliefen sich im Mai auf rund 180 Mrd. US-Dollar. Dem stehen Währungsreserven in Höhe von 80 Mrd. US-Dollar gegenüber. Verliert die Türkei den Zugang zu internationalen Finanzierungen, wäre sie auf andere Finanzierungsquellen angewiesen. Für solche Fälle steht der Internationale Währungsfonds bereit, der seine Hilfen jedoch an harte Auflagen knüpft, die dem von Erdogan verfolgten Wirtschaftsmodell diametral entgegenstehen. Zahlunsausfälle auf internationale Kredite würden die Türkei über Jahre vom internationalen Finanzmarkt abschneiden und zu einer tiefen Rezession führen.
Marktauswirkungen und Folgen für den Rest der Welt
Die Unsicherheit um die Türkei hat die Risikowahrnehmung allgemein steigen lassen. Die Bewegungen außerhalb der türkischen Finanzmärkte blieben bisher jedoch begrenzt. Am stärksten war das Segment für Inlandswährungsanleihen von Schwellenländern betroffen, in dem die Türkei ein hohes Marktgewicht hat. Dass bislang nur geringe Ansteckungseffekte auf andere Schwellenländer zu beobachten waren, ist vor allem mit deren besseren Fundamentaldaten zu erklären. So steht die Türkei hinsichtlich des Leistungsbilanzdefizits, der Auslandsverschuldung und der Ausstattung mit Währungsreserven deutlich schlechter da als andere. Zudem gibt es zur Zeit kaum eine Regierung, die sich mit solcher Entschlossenheit in eine Konfrontation mit den Finanzmärkten und den wichtigsten Partnerländern begibt. Dennoch sind bei Schwellenländeranlagen weitere Kursverluste zu erwarten, wenn die Turbulenzen in der Türkei anhalten. Ohne eine Beruhigung bleibt der Euro gegenüber dem US-Dollar anfällig, und deutsche Bundesanleihen dürften als sicherer Hafen gesucht bleiben. Europäische Aktien würden dagegen unter der Unsicherheit leiden. Realwirtschaftlich würde sich eine tiefe Wirtschaftskrise der Türkei vor allem für die Handelspartner nachteilig auswirken, weil die Exporte in die Türkei schrumpfen dürften. Sollte es zu einer Schuldenkrise kommen, würde vor allem der europäische Finanzsektor leiden. Die höchsten Engagements sind die Banken in Spanien und Frankreich eingegangen, doch auch in Deutschland, Italien, Großbritannien, den USA und Japan gibt es nennenswerte Forderungen gegenüber der Türkei. Wir gehen davon aus, dass Präsident Erdogan die Entwicklung nicht bis zu einer Schuldenkrise eskalieren lassen wird, da dies seine Wiederwahlchancen in fünf Jahren stark gefährden würde. Daher sehen wir derzeit keine unmittelbaren Konsequenzen für Anlage-Reaktionen. Allerdings muss die Entwicklung in der Türkei mit höchster Aufmerksamkeit verfolgt werden, um gegebenenfalls zu reagieren.
Internet: https://deka.de/deka-gruppe/research
Impressum: https://deka.de/deka-gruppe/impressum
Schreibe einen Kommentar