BÖRSENGESPRÄCH mit Matthias Schmidl und Dr. Ulrich Kater: „Es geht um Europa als Ganzes!“

Das neue Börsenjahr hat da weitergemacht, wo das Alte endete: ziemlich aufregend und positiv. Es gibt neue Mitspieler (Snapchat), neue Rekorde (DAX  & DOW) und neue Hoffnungen. Und während die Politik immer unberechenbarer wird, die Krisenherde sich ausbreiten und die Zinsen niedrig bleiben, gibt sich die Wirtschaft robust und die Aktienmärkte boomen. Die Deflationsgefahr ist scheinbar gebannt, in Europa steigt die Inflation. Zeit für einen großen Ausblick. Da viele Experten mehr sehen, haben wir heute gleich zwei unserer Besten im aktuellen Wertpapierstudio: Matthias Schmidl, Leiter der Wertpapierabteilung der Sparkasse Regensburg und Dr. Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Dekabank. Es wird also schwergewichtig!

 

Meine Herren, ich freue mich, dass Sie beide Zeit für dieses Gespräch gefunden haben. Herzlich Willkommen! Im Moment reden viele Menschen über Präsident Trump. Ich möchte das ganz bewusst nicht tun. Einverstanden? Oder haben Sie wichtige neue Erkenntnisse, die Sie mit uns teilen möchten?

SCHMIDL: Völlig einverstanden! Die ganze Welt redet über Trump, und jeder hat eine Meinung über ihn und seine Auffassung von Politik. Aber leider ist Donald Trump nicht einzuschätzen und von daher müssen wir lernen, mit dieser Ungewissheit umzugehen.

KATER: Kein Problem.

 

Dann richte ich den Fokus auf andere Gebiete. Zum Beispiel nach Deutschland: die Inflationsraten für Januar (1,9 Prozent) und Februar (2,2 Prozent) sprechen eine deutliche Sprache.  Die Geldentwertung läuft auf Hochtouren. Draghi kann zufrieden sein, oder? Seine „finanzielle Repression“, wie Sie, Herr Schmidl es zuletzt formulierten, funktioniert?

SCHMIDL: Ich denke, dass Herr Draghi mit den anziehenden Inflationsraten sehr zufrieden ist und sicher hofft, dass es kein Strohfeuer bleibt, das nach kurzer Zeit wieder erlischt. Die besagte „finanzielle Repression“ funktioniert nur, wenn die Inflationsraten für einen längeren Zeitraum oberhalb des  Zinsniveaus bleiben. Nur dann kann  der Staat sich langfristig über eine reale Entwertung der Schulden entschulden und über die erhöhte Inflation durch eine nominal erhöhte Wirtschaftsleistung profitieren.

 

Herr Dr. Kater, ich bin doch ziemlich erstaunt, wie gelassen wir Deutschen die Situation bei aller politischen Unzufriedenheit hinnehmen. Etwaige Lohnsteigerungen werden sofort wieder aufgefressen, Zinsen gibt es seit Jahren nur noch in homöopathischen Dosen. Immobilien in Bestlagen bekommt man zu Mondpreisen. Die Arbeitslosigkeit ist historisch niedrig, die Wirtschaft „brummt“. Geht es uns – auch im Verhältnis zu anderen Ländern – einfach zu gut? 

KATER: Sind wir wirklich so gelassen? Die gegenwärtige Unzufriedenheit und Wechselstimmung bei breiten Wählerschichten haben nicht ausschließlich etwas mit Wirtschaft zu tun, das Unbehagen geht weiter. Es sind auch die Gefühle der Fremdbestimmtheit, ob im Arbeitsleben oder in der Politik oder sogar im privaten Bereichen, die unzufrieden machen. Ob durch die ständige Erreichbarkeit und die Anforderungen der Digitalisierung oder durch die Internationalisierung des Wirtschaftslebens: das erscheint einem nicht nur nicht geheuer, sondern es weckt auch Ängste. Die politischen Entscheidungen in Großbritannien oder in den USA haben die Breite dieses Unbehagens eindrucksvoll vor Augen geführt. 

SCHMIDL: Faktisch haben wir aufgrund unserer hohen Ersparnisse natürlich eine reale Geldentwertung wegen des aktuellen Zinsniveaus. Auf der anderen Seite spüren aber auch viele Deutsche die Entlastung bei den Hypothekenzinsen. Unterm Strich bleibt für viele Kreditnehmer monatlich mehr in der Tasche als bei höheren Zinsen. Diesen Effekt ist tatsächlich in der Haushaltskasse messbar und hilft über die schleichende Geldentwertung hinweg.

 

Wie gefährlich ist dabei der Faktor Gewöhnung? Und gibt es eine Lösung?

Der Faktor Gewöhnung ist aus meiner Sicht nicht zu unterschätzen. Wir haben unser Niveau und gehen davon aus, dass das so bleibt. Auch wenn es natürlich nicht allen Menschen in Deutschland so gut geht wie dem Großteil der Bevölkerung. Man muss aber festhalten, dass wir mit Blick auf gesellschaftlichen Wohlstand  wahrscheinlich in einer Situation sind, die nicht mehr viel Steigerungspotential besitzt.

KATER: Jetzt ist es an Politik und Gesellschaft, Antworten zu finden, auch im Dialog mit den neuen politischen Kräften. In Deutschland ist diese Gefühlslage nicht ganz so ausgeprägt wie in anderen Ländern. Das liegt auch daran, dass für die Gesellschaft in Deutschland das Thema Solidarität und Gemeinwohl immer schon einen hohen Stellenwert hatte.

 

Ein Grund für die Ruhe (vor dem etwaigen Sturm) könnte auch die Vermögensverteilung sein. Immer mehr Deutsche sind von Armut bedroht, egal wie man die aktuellen Berichte nun interpretiert. Wer kein Vermögen hat, kann nichts verlieren. Die obere Mittelschicht in den Großstädten „fühlt“ sich durch den Immobilienpreisboom zumindest auf dem Papier reich. Und die oberen Zehntausend? Profitieren wie noch nie von den Rekordständen an der Börse. 

KATER: Ungleichheit und Wohlstand sind die ältesten Gegenspieler in der Sozialpolitik: Man kann sämtliche Einkommen und Vermögen gleich verteilen. Dabei verliert man allerdings die Motivation, solche anzuhäufen und treibt die vorhandenen außer Landes, worunter der gesamte Wohlstand leidet. Die größten Vermögensungleichheiten, die wir heute beklagen, resultieren aus Vermögen, die im Rahmen von Unternehmertätigkeit erwirtschaftet werden. Häufig stecken diese Vermögen sogar auch zum größten Teil in diesen Betrieben. Auf dem Weg zu diesen Vermögen sind also Arbeitsplätze, Steuereinnahmen, Güter und Dienstleistungen entstanden. 

SCHMIDL: Ich finde auch, dass diese Diskussion sehr vielschichtig ist. Natürlich spielt die Vermögensverteilung eine große Rolle, aber das wäre aus meiner Sicht zu eindimensional. Als größte Gefahr sehe ich, dass wir auch in Deutschland einen weiteren Vormarsch der Populisten konstatieren und der Nationalismus in Europa noch mehr in den Vordergrund rückt. Diese Tendenzen sind sicher vorhanden und formieren sich, wie Herr Dr. Kater bereits festgestellt hat, unabhängig von der Vermögensverteilung. Gerade die Konstellation, wie wir sie aktuell auch in Frankreich mit und durch Marine Le Pen miterleben, dürfte aus meiner Sicht die größte Gefahr für die Stabilität Europas sein. Schaffen es die populistischen Parteien auch noch die sozialen Themen zu besetzen und sowohl rechts- als auch linksorientierte Wähler zu vereinen, dürfte das die europäische Union an ihre Grenzen und zu großen gesellschaftlichen Konflikten führen.

 

Wie können wir das verhindern? Durch Rückbesinnung auf die Nationen?

KATER: Den Königsweg, das Vermögen gleicher zu verteilen, ohne die unternehmerische Aktivität zu sehr zu beschneiden, ist noch nicht gefunden worden. Das wird wohl auch nie der Fall sein: Die Aufgabe besteht darin, die beiden Gegenspieler immer wieder neu auszutarieren.

SCHMIDL: Es geht wieder einmal um Europa als Ganzes. Die Erwartungshaltung, dass es den Menschen in eigenständigen Nationalstaaten besser geht als bisher, kann ich nicht teilen.

 

Was können die einfachen Leute mit geringen Einkommen machen, um selbst gegenzusteuern? Möglichst jeden Penny sparen und ab 5.000 Euro Vermögen rein ins Wertpapiergeschäft? Oder lieber dem Februar-Twitter-Tipp des Beratungsdienst Geld und Haushalt der Sparkassen-Finanzgruppe folgen:  Die Niedrigzinsphase nutzen und erst mal alle vorhandenen Schulden zügig abbezahlen?

SCHMIDL: Schuldentilgung ist natürlich die eine Möglichkeit. Ob dies bei einem historisch niedrigen Zinsniveau die beste Idee ist, wage ich zu bezweifeln. Aber es ist zumindest die beste Variante um mögliche Unwägbarkeiten auszuschalten. Für alle anderen kann ich nur empfehlen das Kapital, welches sie langfristig sparen wollen in einem guten weltweit anlegenden Aktienfonds anzulegen. Das funktioniert übrigens schon ab 25€ im Monat und ist nicht nur den „oberen 10.000“ vorbehalten. Und jeden Penny zu sparen,  ist meines Erachtens auch nicht die optimale Lösung. Man sollte ja schließlich durch Konsumieren auch die Wirtschaft ankurbeln und damit die Aktienkurse unterstützen.

 

Apropos Aktienkurse, Herr Schmidl. Im Dezember haben Sie uns weiter steigende Kurse an den Börsen vorausgesagt. Sie lagen damit, wie schon so oft, goldrichtig. Mein Kompliment. Eines Ihrer Hauptargumente für das zukünftige Kurspotential sind die im Vergleich überteuerten Anlagemärkte Renten und Immobilien. Ist die „Brennstoffkammer“ nach der jüngsten Rallye immer noch gut gefüllt? Oder fahren wir inwischen auf Reserve?

SCHMIDL: Meine Hauptargumente bleiben auch weiter bestehen! Und jetzt kommt noch ein weiteres hinzu: Die Unternehmensgewinne sind im letzten Quartal wesentlich stärker gestiegen als dies von den Analysten erwartet wurde. Das bringt wiederum Potential für weitere Kurssteigerungen, da die Bewertungen gemessen an den Gewinnen günstiger werden. Also gilt weiterhin, Immobilien und Renten bleiben teuer, Aktien sind sogar billiger geworden. Aber natürlich sind die Aktienmärkte keine Einbahnstraße und ich kann nachvollziehen, wenn viele Kunden von fallenden Aktienmärkten ausgehen, weil die Entwicklung nun schon so lange nach oben gerichtet ist. Aus meiner Sicht dürfte der Trend aber noch einige Zeit anhalten, bis eine Trendwende einsetzt. Solange das Geld so billig bleibt, führt kein Weg an Aktien vorbei.

 

Dann mache ich mal den Spielverderber: Könnte es nicht auch einfach so sein, dass die unvergleichliche Schulden- und Geldschwemme der letzten Dekade den ganzen weltweiten Wirtschaftskomplex total ungesund aufgebläht haben und wir einfach nur viel zu nah dran stehen, um das ganze Ausmaß der Misere zu erkennen?  Dann wäre ein ökonomischer und globaler Monsterpups doch unausweichlich, oder?  Was für konkrete Warnzeichen bräuchte es, damit Sie als Experte sagen: Achtung, raus aus dem Aktien-Risiko. Und rein in Gold und Kartoffeln?

SCHMIDL: Nun gut, Herr Lutz. Jetzt nenne ich sie nicht Spielverderber, sondern einfach nur einen Realisten. Natürlich ist die Schulden- und Geldschwemme der letzten Jahrzehnte absolut ungesund und wird irgendwann zum Kollaps führen. Das ist unausweichlich und ist in der Geschichte des Geldes auch immer wieder geschehen. Davon auszugehen, dass unser Geldsystem für die Ewigkeit ist, wäre schon sehr vermessen. Für mich ist aber die alles entscheidende Frage aber nicht das ob, sondern das wann… und da wird es nun spannend. In meiner Sichtweise stehen uns noch viele gute Kapitalmarkt-Jahre bevor, in denen insbesondere Sachwerte und Aktien profitieren werden.

Um aber bei der aktuellen Lage zu bleiben, wäre für mich ein erster Warnschuss, wenn bei den bevorstehenden Wahlen in Europa die Nationalisten die Mehrheit bekommen und die stärksten Regierungsparteien stellen. Dann würde wohl die Europäische Union stark in Wanken kommen.  Jeder der sich gegen den von Ihnen beschrieben „ökonomischen und globalen Monsterpups“ versichern möchte, sollte einen kleinen Teil seines Vermögens in Gold anlegen, in der Hoffnung diese Versicherung möglichst nie zu gebrauchen. Und Kartoffeln gehören ohnehin in jedes Portfolio! (zwinkert).

 

Zum Schluss also doch lieber noch einen positiven Blick in die Zukunft. Wo viele Risiken sind, gibt es immer auch Chancen. In den letzten Jahrzehnten war vor allem revolutionären Entwicklungen bei den Computertechnologien ein erfolgreicher Wachstumgarant an den Börsen. Von den wertvollsten 7 Marken der Welt kommen  5 aus dem Silicon Valley.  Meine Herren! Wo sehen Sie heute die noch zu entdeckenden und besonders  spannenden Geschäftsfelder für Anleger, in denen gerade die neuen Apples, Googles und Microsofts dieser Welt geboren werden?

KATER: Im Silicon Valley werden die digitalen Basistechnologien und Geschäftsmodelle erfunden. Im Schwarzwald, auf der schwäbischen Alb oder im Sauerland werden diese auf ihre industriellen Anwendungsmöglichkeiten hin entwickelt. In der Industrie 4.0 liegen enorme Geschäftsmöglichkeiten. Deutsche Unternehmen sind gerade dabei, diese umzusetzen.

SCHMIDL: Die Genannten sind nicht nur die wertvollsten Unternehmen, sondern auch die profitabelsten. Kleine Beispiel gefällig? Apple könnte mit dem Gewinn von zwei Wochen (!) Opel kaufen. Ich denke, daran kann man erkennen wie sich die Welt verändert hat.

Neue Trends sind im Voraus nur zu erahnen. Ich stimme hier aber Herrn Dr. Kater zu: Ein aussichtsreiches Themenfeld könnten Trends um den Begriff „Industrie 4.0.“ werden.  Dahinter verbergen sich Abläufe in der industriellen Produktion, die mit den modernen Informations- und Kommunikationstechnologien weiter optimiert werden. Menschen, Maschinen, Anlagen, Produkte und Logistik kooperieren in der „Industrie 4.0.“ nahtlos miteinander. Ich könnte mir vorstellen, dass hier der ein oder andere Treffer gelandet werden kann.  Die Erprobung selbstfahrender Autos oder ein Kühlschrank, der selbständig die Einkaufsbestellung übernimmt sind nur zwei Beispiele. Sie liegen wohl nicht mehr in allzu ferner Zukunft.

 

Herr Dr. Kater, Herr Schmidl. Vielen Dank für diesen intensiven und informativen Gedankenaustausch!

 

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