Aktuelles Börsengespräch mit Matthias Schmidl: „Wir sind zum Optimismus verdammt!“

Ein turbulentes Börsenjahr 2016 ist zu Ende und es sieht tatsächlich nach einem guten Finale aus. Die EZB lässt den Leitzins unverändert. Das Anleihekauf-Programm wird mit geringerem Volumen verlängert. Es gibt also vorerst keinen Stopp beim billigen Geld für die Märkte. Das ist natürlich Balsam für die geschundenen Seelen auf dem Parkett. Ende gut, alles gut? Für die Antwort ist wie immer Matthias Schmidl, Leiter der Wertpapierabteilung der Sparkasse Regensburg der richtige Mann. Zeit, ein Fazit zu ziehen!  

 

Lieber Herr Schmidl, lassen Sie mich unser letztes Interview in diesem Jahr mit einer philosophischen Frage beginnen. Kann die reale Welt die Börsen überhaupt noch schrecken?  Stichworte: Brexit, Trump & Renzi?

Mit Blick auf die Entwicklung, muss man zusammenfassend sagen: Anscheinend nicht! Das zeigt uns aber auch, welche Faktoren für die Börse derzeit wirklich wichtig sind. Zum einen sind das die weltweiten Notenbanken. Sie betreiben nach wie vor eine extrem expansive Geldpolitik. Zum anderen ist das die gute Ertragslage der Unternehmen. Wir haben seit einigen Jahren eine stabile wirtschaftliche Entwicklung. Eine alte Börsenweisheit sagt: „Politische Börsen haben kurze Beine“. Das trifft anscheinend im Moment zu.

 

Gerade  ist die EZB-Entscheidung zugunsten einer weiterhin expansiven Geldpolitik (mit leichten Abstrichen) gefallen. Startet jetzt – trotz bereits gerissener Höchstmarken – eine deftige Jahresend-Rallye? Der europäische Aktienmarkt erscheint ja im Vergleich zum amerikanischen eher unterbewertet. Wie hoch sehen Sie das Aufholpotential?

Die EZB hat tatsächlich eine Jahresendrally losgetreten. Wir sehen gerade eine Aufholjagd der europäischen Börsen. Weiteres Potential ist definitiv vorhanden, eine Abkoppelung der europäischen von den amerikanischen Börsen werden wir aber nicht erleben.

Wie ich bereits schon einmal angesprochen habe: Für mich liegt die Musik in der krassen Unterbewertung der Aktienmärkte, im Vergleich zu den Assetklassen Renten und Immobilien. Während bei Aktien immer über teuer und billig im historischen Vergleich diskutiert wird, vergessen wir, dass die Renten- und Immobilienmärkte vor diesem Hintergrund massiv überteuert sind. Würde man diese Bewertungen auf den Aktienmarkt übertragen, sind weitaus höhere Kurse möglich.  

 

Die gute Nachricht: Die Deflationgefahr scheint endgültig gebannt. Die Inflation zieht leicht an, die aktuelle Deka-Prognose liegt in Deutschland für 2017 bei moderaten 1,7 Prozent. Reicht das für Draghi, um im Verlauf des Jahres die Leitzinswende einzuläuten? Mit erwarteten 0,6 Prozent Inflation im Euroraum sind wir ja noch weit weg von den eigentlich geplanten 2,0 Prozent.

Also von einer Zinswende sind wir noch weit entfernt. Mario Draghi hat das Aufkaufprogramm der EZB ja gerade eben erst nochmal bis Ende 2017 verlängert. Wenn wir davon ausgehen, dass ab 2018 dann die Aufkaufsummen langsam verringert werden (Tapering), dann könnte man bestenfalls damit rechnen dass 2019 das derzeit negative Zinsniveau auf 0 Prozent angehoben wird. Und so können wir das jetzt fortführen, aber sie merken, höhere Zinsen sind im Moment kein Thema.

Von Seiten der Inflation dürfte der Druck auf die EZB überschaubar bleiben. Die derzeit anziehenden Inflationsraten sind auf die gestiegenen Rohölpreise zurückzuführen und auch die Inflationsprognosen des nächsten Jahres beruhen auf diesem Umstand. Wir erwarten keine massiv weiter steigenden Ölpreise und von daher sollte dieser Effekt spätestens Ende 2017 wieder auslaufen.

Und man darf auch nicht vergessen, dass die EZB wohl auch eine Inflationsrate jenseits der 2 Prozent erst mal herunterspielen wird. Warum? Es ist ja genau das Ziel der Zentralbank eine Entschuldung über eine erhöhte Inflation zu erzielen. Die Schulden werden somit real weniger wert, weil die Zinsen längerfristig unter der Inflation gehalten werden. Das Vorgehen wurde bereits in der Vergangenheit von den USA und Großbritannien erfolgreich zum Abbau der Staatsverschuldung genutzt, bekannt wurde es unter den Stichwort „finanzielle Repression“.

 

Die schlechte Nachricht: Europa kommt nicht zur Ruhe. Nach Brexit und dem Rücktritt vom italienischen Ministerpräsidenten Renzi stehen wir 2017 vor einem wichtigen Wahljahr. Wie viel Zündstoff liegt für die Märkte und die durchaus robuste Wirtschaft in der Politik? Stichwort: Populismus und Flüchtlingskrise.

Wie ich bereits in früheren Interviews angemerkt habe, sind die politischen Entscheidungen 2016 zwar von hoher Volatilität begleitet worden, haben aber unter dem Strich die Märkte nicht nachhaltig unter Druck gebracht. Fakt ist aber auch, dass 2017 gerade in Europa ein Wahljahr ist. Es stehen viele politische Weichenstellungen an. Das startet in den Niederlanden, gefolgt von Frankreich. Im Herbst dann Deutschland. Hier handelt es sich um die wirtschaftlich stärksten Länder in der EU.

Sollte die Tendenz zu Protektionismus und zu einer Enteuropäisierung so weitergehen und die Populisten in vielen Ländern die Oberhand gewinnen, dann droht Ungemach.  Das dürfte sich dann auch auf die Märkte durchschlagen. Und mit Ungemach meine ich, dass die Union dann wohl nicht mehr in ihrer heutigen Form weiterbestehen kann. Das ist sicher nicht meine Hoffnung und mein favorisiertes Bild, kann aber auch nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Gerade nach den Überraschungen in diesem Jahr.

Die Flüchtlingskrise bleibt weiter ein Thema, aber spannend wird die Entwicklung in 2017. Wieder steigende Flüchtlingszahlen vor den jeweiligen Wahlen würde den Populisten im Wahlkampf sicher helfen. Hoffen wir also mal, dass es an dieser Front ruhig bleibt.  

 

Die Wall Street feiert Präsident Trump fast wie einen Popstar, der Dollar hat gegenüber dem Euro aufgewertet. Das ist angesichts seiner ursprünglichen Wahlversprechen eher paradox. Kann das Phänomen Trump tatsächlich zu einem psychologischen Wirtschaftswunder führen? Wie viel Substanz hat seine Strategie „America first“ am Ende?   

Das ist zu heutigen Zeitpunkt schwer zu sagen. Aktuell versuchen die Finanzmärkte jedes Wahlversprechen, sei es auch noch so unkonkret, positiv zu bewerten. Es werden Parallelen zu Ronald Reagan hergestellt unter dessen Präsidentschaft die wirtschaftliche Entwicklung sehr erfreulich war. Der große  Unterschied besteht allerdings in den beschränkten Mitteln von Herrn Trump. Die Staatsverschuldung befindet sich derzeit schon bei weit über 100% des BIP und müsste zur Umsetzung der Wahlversprechen nochmals massiv ausgeweitet werden.

Derzeit sind wir zu Optimismus verdammt. Hoffen wir, dass er positive Absichten schnell und unkompliziert umsetzt und seine eher befremdlichen Ideen nicht durchsetzen kann.

 

Und warum stört es die Marktteilnehmer eigentlich nicht besonders, dass die US-Notenbank bald weiter die Zinsen erhöht?

Mit der nun sehr wahrscheinlichen Zinserhöhung nächste Woche in den USA hat man sich bereits „angefreundet“. Sie wird seit mittlerweile 12 Monaten diskutiert und die Notenbank muss liefern um glaubwürdig zu bleiben. Und ganz ehrlich, ein Zinsniveau von 0,5-0,75 Prozent wird die US-Wirtschaft nicht gleich aus der Bahn werfen, wenn gleich es Anzeichen einer schwächeren wirtschaftlichen Entwicklung und auch einer Rezession im kommenden Jahr gibt. Und für genau diesen Umstand will sich die FED wappnen und Handlungsspielraum schaffen. Es würde mich nicht wundern, wenn wir bereits in einem Jahr wieder von Zinssenkungs-Fantasien der FED sprechen.

 

Zu guter Letzt noch ein Blick auf Öl und Gold. Sollten wir die Öltanks noch in diesem Winter gut füllen und Omas Goldreserven bis Herbst 2017 halten?

Zuerst zum Öl. Hier erwarten wir maximal 60-65 US-Dollar pro Barrel im Jahr 2017. Wir sehen bei den aktuellen Preisen von knapp über 50 USD schon wieder erste US-Fracking-Unternehmen, die ihre Fördermengen wieder hochfahren. Das dürfte den Ölpreis nach oben hin deckeln, auch wenn die OPEC sich kürzlich auf eine Verknappung geeinigt hat.

Beim Gold ist es die letzten Wochen zu einen starken Abverkauf gekommen, für viele unverständlich, da die Unsicherheiten weltweit so hoch sind wie nie. Allerdings wird hier sehr einfach argumentiert. In den USA werden steigende Zinsen und Inflationsraten erwartet und das wäre ein negatives Umfeld für Goldanlagen, denn Gold zahlt keine Zinsen.

Also. Den Öltank würde ich diesen Winter nochmal voll machen und Omas Goldreserven würde ich ohnehin für die Ewigkeit behalten. In der Hoffnung, dass ich sie nie benötigen werde. 

Ich wette, diese Antwort wird auch Oma begeistern. Und wir freuen uns auf ein weiteres, spannendes und hoffentlich auch fruchtbares Aktien- und Interviewjahr 2017 mit Ihnen, lieber Herr Schmidl. Vielen Dank, genießen Sie die schöne Weihnachtszeit!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert




Enter Captcha Here :