Gastgespräch #MASTEROFTHEUNI-VERS: Thomas Spitzer fragt Lisa Eckhart

Am 19.4. präsentiert die Sparkasse Regensburg den Poetry Slam MASTER OF THE UNI-VERS im Audimax der Universität Regensburg. Der Slam ist mit 1470 ZuschauerInnen der größte Poetry Slam Bayerns, die Tickets sind fast weg. Oberbürgermeister Joachim Wolbergs übernimmt die Schirmherrschaft, die lokale Blues-Rock-Gruppe The Electric Panthers unterstreicht das Geschehen musikalisch. Thomas Spitzer organisiert und moderiert das Event.

 

Im Lineup ist unter anderem Lisa Eckhart. Die exzentrische Bühnenpoetin, die sich selbst als „experimentelle Züchtung der österreichischen Alpen“ bezeichnet, ist spätestens seit ihrem dramatischen Schicksal im Finale der deutschsprachigen Poetry-Slam-Meisterschaften 2015 in Augsburg, wo sie bei einem Münzwurf gegen den späteren Sieger Jan Philipp Zymny verlor, einer der ganz großen Namen in der Slam-Welt. Aktuell tourt sie mit ihrem ersten Kabarettprogramm „Als ob Sie Besseres zu tun hätten“ durch Österreich.

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Hallo Lisa. Ich habe bezüglich deines Kabarettprogramms drei Sachen gehört: 1. Du hast das komplette Programm neu geschrieben, ohne bereits vorhandene Slam-Texte zu integrieren. 2. Du bist mit dem Programm jetzt zwei Jahre auf Tour. 3. Das Programm ist Teil einer Art österreichischen Kabarett-Liga. Was davon stimmt? Und wie ist es wirklich?

Allesamt herrliche Halbwahrheiten. Am Ende des Programms steht ein Klassiker meiner Slam-Texte, den viele schon kennen, aber den man nicht oft genug hören kann (abgesehen von mir, die den Text schon abgrundtief hasst). Doch ja, ansonst ist alles neu und nicht gereimt. Schließlich ist es ein Kabarettprogramm und kein Slam-Best-Of, was in seiner stumpfen Langweiligkeit auch eine sehr vermessene Veranstaltung wäre. Wie lange ich damit auf Tour sein werde, weiß ich nicht zu sagen, das hängt gänzlich vom Publikumsinteresse und meiner Lebenserwartung ab. Von einer ominösen Kabarett-Liga, die von den letzten Habsburgern und Freimaurern finanziert wird, habe ich  noch nie gehört. Weil es sie nicht gibt. Wer das Gegenteil behauptet, sollte in Zukunft besser seinen Tee auf Strichnin untersuchen.

 

 

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Dein Werdegang ist ja auch wirklich ganz außergewöhnlich. Wenn ich recht informiert bin – Hast du eine Homepage? – , bist du in Wien aufgewachsen, wolltest Schauspielerei studieren, hast dann etwas Geisteswissenschaftliches in Paris studiert, wohnst aktuell in Berlin und ziehst wieder in die Heimat. Ist das korrekt? Was hast du studiert und wieso?

 

Aufgewachsen bin ich in einem kleinen steirischen Dorf, als eins der wenigen Freilandkinder.  Dann war ich in der Tat einige Jahre in Paris stationiert und habe dort Germanistik studiert. Weshalb? Na, ich wollte einmal im Leben als sprachliches Wunderkind gelten und habe konstant geleugnet, dass Deutsch meine Muttersprache wäre und mich stattdessen als ungarisches Wolfskind ausgegeben. Daraufhin bin ich zurück und wurde erfolgreich an mindestens 15 Schauspielschulen abgelehnt. Na und was macht ein künstlerisch gekränkter, verbitterter Österreicher? Klar, er geht nach Berlin und beginnt dort entflammte Volksreden zu halten. Und damit bin ich auch sicher noch eine Weile beschäftigt.

 

Normalerweise ist das immer so ein bisschen langweilig, aber bei dir interessiert es mich tatsächlich: Wie bist du zum Slam gekommen?

 

Durch Zufall bei einer Familienfeier. Ein gutaussehender Cousin hat mir ganz begeistert von diesem postmodernen Firlefanz erzählt. Und da ich keine inzestuöse Hemmschwelle kenne, dachte ich, ihm imponieren zu können, wenn ich derartiges einmal versuche. Aber schon bald rückte dieser Anlass in den Hintergrund, da ich entzückt feststellte, von der Bühne aus so viel mehr Menschen verstören zu können, als diesen einzigen armen 13-jährigen Knaben.

 

Deine Bühnenfigur ist auffällig geschminkt und trägt pompöse Kleidung. War das von Anfang an so? Und wieso?

 

Es gibt keine Bühnenfigur. Auf der Bühne stehe ich, in meiner reinsten Form. Doch es gibt eine Backstage-Figur, mein Stunt-Double für den Alltag abseits der Bühne. Die trägt auf Reisen meine Koffer, kauft für mich ein und unterhält sich mit Menschen auf eine umgängliche Art und Weise, die ihnen vorgaukelt, dass ich „eigentlich“ ein herzliches, zurechnungsfähiges Wesen sei. Mein wahres Ich, die vermeintliche „Bühnenfigur,“ ist eben sehr ökonomisch in seinen Kräften und kommt somit erst ab einer gewissen Zuschauerzahl zum Vorschein.  Den vulgären Rest, auch Privatssphäre genannt, erledigt das seelenlose Stunt-Double.

In deinen Texten nimmst du bisweilen sehr krasse Haltungen ein, bezeichnest den Weihnachtsmann als „fette Kapitalistensau“, sprichst von Pädophilie und benutzt Begriffe wie „Herdenrasse“. Du glaubst nicht so wirklich an „das Gute“ im Menschen, oder?

 

Nein. Der Gutmensch ist für mich ein Oxymoron. Entweder man ist gut, oder man ist Mensch, aber man kann nicht auf zwei Hochzeiten gleichzeitig tanzen. Und was ist schon „das Gute“? Selbstlosigkeit, bedingungslose Nächstenliebe würde man wahrscheinlich sagen. Ich glaube jedoch, der stärkste Trieb im Menschen ist und bleibt der Egoismus. Jemand der nicht stetig auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist, ist ja wohl nicht ganz bei Trost. Die Kunst ist allerdings, seinen Mitmenschen möglichst marginal zu schaden, während man versucht sich diesen Vorteil zu verschaffen. Wenn Menschen ernsthaft meinen „Gutes“ zu tun, dann ist das einfach einer dieser raren Momente, in denen sich ihr egoistisches Begehren zufällig mit dem Gemeinwohl deckt. Und Egoismus kann ja auch erstaunlich viel Positives zustande bringen. Wenn wir also ein wenig ehrlicher wären und den Egoismus als Motor auch all unserer guten Taten eingestehen, wäre „das Gute“ nicht nur attraktiver, sondern vielfach realistischer. Es gibt schließlich so viele gute Gründe „Gutes“ zu tun: Schuld, schlechtes Gewissen, Prahlerei, Zwang etc. Doch das „Gute“ allein um des „Guten“ willen – das ist ja wohl keine raffinierte Marketing-Strategie.

 

Vielleicht siehst du es auch wie der große Dichter und Denker Kanye West, der da einst tweete: „Just trying to express myself in a broken world.“ …

 

„Expressing yourself“ – ein hochgradig gefährlicher Trend, dieses ganze Selbstentfaltungs- und Individualitätsbestreben. Nein, allem Narzissmus zum Trotz, hoffe ich nicht, nur etwas wie „self-expression“ zu betreiben. Das Selbst, der Wesenskern eines Menschen interessiert doch wirklich niemanden auch nur im Geringsten. Anständige Menschen entwickeln deshalb ja auch einen Schließmuskel für ihre persönlichen Befindlichkeiten. Da diese letztlich auch nur Exkremente sind, notwendig entstandene Abfallprodukte, auf die Menschen absurderweise aber wahnsinnig stolz sind. Doch wie mit Exkrementen ist es auch in Ordnung in den ersten Lebensjahren, von mir aus bis zum Ende der Pubertät, damit zu spielen und sie auf Textblätter zu schmieren, doch dann sollte man lernen sie runterzuspülen und sich, davon befreit, wichtigerem zu widmen.

 

Was war das schlimmste, was du je auf einer Bühne gesagt hast und wieso?

 

„Heutzutage werden einfach viel zu wenige Menschen aneinandergenäht.“ Und das ist noch die zensierte Version. Ich hatte am Vortag die gesamte Trilogie des „Human Centipede“ gesehen und musste dieses Trauma irgendwie verarbeiten. Zudem  gelüstete es mich zu sehen, ob aus dem betroffenen Publikum, das schon seit einer Stunde mit toten Augen gen Bühne stierte, irgendein Funke Leben zu kitzeln wäre. Aber es war wie mit einem Stock in einem überfahrenen Eichhörnchen herumzustochern. Da weiß man schon vorher, dass da nichts mehr kommt.

 

Hast du eine Art Programm, eine Grund-Message, die du vermitteln willst?

 

Skepsis. Allem und jedem gegenüber. Ich möchte einfach Bequemlichkeiten zerstören. Es gibt meiner Meinung nach keine Wahrheiten, keine ideale Ordnung, zu der wir zurückfinden müssen.  Menschen bilden ihr Leben um Scheinwahrheiten wie Religion, Liebe und Konsum auf und für jemanden, der das nicht vermag, ist es unerträglich den anderen dabei zuzusehen. Ob das eine edle Mission ist? Vielleicht nicht. Diese fiktiven Inhalte zu zerstören kann man ja nur schwerlich Aufklärung nennen. Es ist vielmehr eine Vernebelung. Hinter dem lockenden, klaren Licht eines sinnstiftenden, doch trügerischen Weltbilds liegt schließlich nur Nebel, Elend und die niemals gutzumachende Zumutung des Todes.  Doch wenn man sich dessen bewusst ist und dann darüber lacht, dann hat man eine riesige Gaude, von der die anderen nur träumen können.

Eine Zeit lang sah es so aus als gäbe es praktisch keine Tabus mehr. Wenn sich die Schauspieler im Theater nackt ausgezogen, gegenseitig angepinkelt und mit Rinderblut eingerieben haben, haben die Leute gegähnt. Dann hat sich in den letzten Jahren eine Art Hypersensibilisierung entwickelt. Mittlerweile hat man das Gefühl, jedes Wort wird auf die Goldwaage gelegt und, das im Grunde alles eine Provokation ist. Denkst du beim Schreiben über die Wirkung deiner Texte nach? Hast du manchmal das Gefühl, nicht sagen zu können was du denkst?

 

Ganz gewiss. Und noch mehr stört mich, nicht sagen zu können, was ich nicht denke. Meinungsfreiheit muss absolut sein. Doch unsere Meinungsfreiheit heutzutage ist wie ein All-You-Can-Eat Sushi-Buffet, bei dem es nur Gurkenmaki gibt. Wie wenn die letzten beiden Überlebenden der Menschheit beschließen, eine offene Beziehung zu führen. So eine Pseudofreiheit eben. Und ich rede nicht von rechter Polemik. Aber von Satire und alternativen, linken(!) Theorien, die vom eigenen „Lager“ mit dem Vorwurf des „politisch Inkorrekten“ torpediert werden.

Doch jene Menschen, die politische Korrektheit verfechten, und alles auf die Goldwaage legen, sind ironischerweise meist selbst Vertreter der „Herrenrasse“. Ein protektionistisches Grüppchen, das sich einbildet, für das „Schwache“ Partei ergreifen zu müssen. Wenn solche Menschen dann harsch auf politisch Inkorrektes reagieren, beweist das allerdings oftmals nur die Fragilität ihres eigenen Wertesystems. Und kein Wunder: Ihre eigene Toleranz und Menschenliebe ist ja oftmals nur stumpfsinnig auswendig gelernt. Doch Toleranz ist wie eine Mathematik-Hausübung: Das musst du einmal selbst überrissen und kapiert haben, um es selbstständig anwenden zu können.  Aber weil sie das nicht vermögen, fürchten sie konstant von dem Inkorrekten angesteckt werden zu können. Ein moralisch integrer Mensch kann auch mal hochgradig inkorrekt sein, ohne deswegen sein sittliches Gefüge zu gefährden. So wie ein immungestärkter Mensch auch einmal genüsslich am Haltegriff in der U-Bahn lecken kann, ohne krank zu werden.

Aber das ist natürlich alles sehr geschickt eingefädelt. Diese ganze politische Korrektheit verunsichert die Menschen in ihrem Diskurs zutiefst. Es macht sie denkfaul und zimperlich, weil sie der ganzen Welt immer nur ein großes, widerliches „Like“ geben dürfen und auch nur ein solches empfangen. Denn wenn du etwas nicht „liken“ kannst, dann hast du gefälligst zu schweigen. Wenn es trotzdem mal zu Kritik kommt, spritzt man sie nur in einem inzestuösen Zirkel ab. Menschen „säubern“ erst all ihre rechten Freunde von Facebook und posten dann flüchtlingsfreundliche Beiträge. Grandios. Das ist wie einen Tauben per Zeichensprache daran zu erinnern, dass er taub ist. Da hat keiner was davon.

Menschen trauen sich somit nicht mehr rational(!) zu kritisieren und glauben aber gleichzeitig all ihre Eigenschaften, sexuellen Orientierungen, religiöse Ansichten etc. wären goldene Kälber. Aber dieser Wunsch, die Welt von der Ur-Kränkung zu befreien ist zum Scheitern verdammt. Es gibt keinen rein liebevollen, nächstenliebenden Umgang zwischen Menschen. Das einzige, worum wir uns bemühen können ist Schadensbegrenzung.

Zudem entwickelt sich Persönlichkeit ja bevorzugt durch Reibung, durch Konflikt und durch trotzige Selbstbehauptung. In einer politisch korrekten Blase hingegen, einem Zuckerwattenalptraum der Rücksicht bildet sich nur eine konforme Armada aus  emotionalen Invaliden. Die darf man dann natürlich nicht im geringsten kränken, denn wir sind alle liebenswert und etwas ganz Besonderes. Immer dieses Besonders-Sein-Müssen! Das muss ich dazu noch sagen: Menschen sind wie Möbelstücke. Die meisten sind Billy-Regale von Ikea. Ganz wenige sind ausgefallene Designerstücke. Ich persönlich mag aber Billy-Regale, weil sie praktisch sind und nicht so elendig anspruchsvoll und störrisch in der Gegend herumstehen. Natürlich finde ich Designermöbel spannend, aber deswegen rede ich meinem Billy-Regal beim Elternsprechtag noch lang nicht ein, dass es etwas ganz besonderes ist.

 

Mir sind bei deinen prosaischen Textpassagen zwei Dinge aufgefallen: Weder sind sie wirklich Comedy, noch wirklich „politisch“. (Wo man ja auch nie so ganz genau weiß, was das eigentlich sein soll, „politische Comedy“. Nur, weil irgendwelche AFD-Witzchen gerissen werden, ist ein Programm ja noch lange nicht politisch. Anders sind zum Beispiel die Familienszenen von Gerhard Polt hochpolitisch, obwohl sie erst einmal nichts mit dem politischen Tagesgeschäft zu tun haben.) Immer mehr Kabarettisten wie Till Reiners oder Sebastian Pufpaff sehen sich weniger als politischer Mahner mit erhobenem Zeigefinger, sondern mehr als in sich gekehrter, reflektierender Soziologe. Ist das eine neue Entwicklung des Kabaretts, quasi weg von der Politik, hin zu der Soziologie?

 

Jeder Dahergelaufene, der mit seinen Händen eine Raute zu formen vermag, hält sich ja heutzutage schon für einen politischen Kabarettisten. Dabei ist einzelne Parteien und Politiker zu mokkieren wie den abgefallenen Fuß eines Leprakranken zu behandeln. Sinnlos und billig. Die bestehende Politik ist ja nur ein Symptom eines kranken „Volkskörpers“. Soziologische Überlegungen und Systemkritik hingegen erweitern den Fokus notwendigerweise auf das defekte Gesamtbild. Gleichzeitig stimmt es, dass natürlich ohnehin alles (Private) hochpolitisch ist. Wenn jemand auf der Bühne über weibliche Schuheinkäufe spricht, ist das auch ein politischer Diskurs. Das Objekt seiner soziopolitischen Untersuchung ist dann jedoch nicht das kaufrauschige Frauenzimmer, sondern eben seine eigene Schwachsinnigkeit (wenngleich er sich dessen natürlich nicht bewusst ist).

Aus Österreich kommen derzeitig unglaublich viele gute Künstler aus ganz verschiedenen Richtungen. Der zweifache Oscar-Preisträger Christoph Waltz zum Beispiel, der Regisseur Michael Haneke, mein Lieblings-Kabarettist Josef Hader, die Rapper Moneyboy und Young Hurn, die Indie-Band Bilderbuch und du. Das kann kein Zufall sein. Österreich scheint ein ganz besonderer Nährboden für (Pop)kultur zu sein. Woran könnte das liegen?

 

Österreich trägt weiterhin einige äußerst produktive Minderwertigkeitskomplexe in sich. Einst das riesige Habsburgerreich – jetzt ein schnitzelförmiger Fettfleck auf der Europakarte. Das kann man eigentlich nur mit Humor nehmen. Unsere Irrelevanz relativieren wir wohl gerne mit einer pompösen Form von Dekadenz, Kitsch und „inszenierte“ Arroganz. Und ich darf in aller Bescheidenheit sagen, dass wir absurd gut darin sind. Zudem sind wir ein ideologischer Bastard, ein bisschen Westen, ein bisschen Balkan. Der österreichische Geist selbst ist ein schizophrener Vielvölkerstaat. Und das macht ihn wahrscheinlich so verspielt und exzentrisch.

Es hat zudem viele Vorteile oft als Deutschlands kleiner Bruder angesehen zu werden, bei dem die Pille danach nicht gewirkt, sondern nur an den Chromosomen geknabbert hat. Wir dürfen uns dadurch viel mehr erlauben. Künstlerische Provokation wirkt stets charmant, und auch politische Missgriffe werden leicht als ideologische Schlaganfälle abgetan. Letztere gibt es natürlich viele. Schließlich wurden wir ja nie entnazifiziert – und weißt du was, rauchen darf man bei uns auch noch!

 

Wien hatte in den letzten Jahren den Ruf – neben London – die kulturelle Hochburg Europas zu sein. Was macht den Reiz dieser Stadt aus? Wie sind die Leute so drauf?

 

Wien ist ja angeblich seit mehreren Jahren die lebenswerteste Stadt der Welt. Ich persönlich kann das schwer beurteilen. Ich habe nie dort gewohnt und habe es auch nicht vor. (Der Grund dafür ist aber schrecklich banal. Ich kann einfach in keiner Stadt ohne Ringbahn leben. Wenn der städtische U-Bahn Plan wie ein Krebsgeschwür wuchert, ohne klare ringförmige Begrenzung, kriegt der Autist in mir einen Anfall.) Aber die Leute, besonders fremde Passanten empfand ich immer als sehr erfrischend. Sie sind entweder unglaublich freundlich, oder unglaublich „gschissn“ und unfreundlich. Zwischen den Extremen switchen sie mehrmals pro Tag ohne ersichtliches Muster. Das imponiert mir irgendwie.

 

Auf der anderen Seite ist die Österreichische Slam-Szene klein und – ja, man kann es nicht anders sagen – auch ein bisschen unbedeutend. Gerade im Vergleich zur Schweizer Slam-Szene. Zum Beispiel waren mit Gabriel Vetter, Lara Stoll, Laurin Buser, Jonas Balmer und dem Team Interrobang gleich 6 Schweizer Poetry SlammerInnen deutschsprachige Meister in der 19-jährigen Geschichte des Wettbewerbs, aus Österreich hat das bis jetzt nur Yasmin Hafedh geschafft. Auch wurden die Meisterschaften noch nie in Österreich ausgetragen. Und es gibt eigentlich keine prominente mehrtätige Österreich-Tour für PoetInnen aus Deutschland. Woran liegt das? Sind die Salzburg, Graz, Innsbruck und Wien dann doch zu weit voneinander entfernt?

Warum die Meisterschaften nicht bei uns ausgetragen werden? Na hör mal, jetzt kommt ihr schon zu uns zum Wandern und zum Skifahren, da brauchen wir euch Deutsche nicht auch nicht noch in Scharen bei unseren Slams.  Und warum die Schweizer bei den Deutschen besser abschneiden als die Österreicher? Keine Ahnung, doch es liegt auf keinen Fall an textlichen Qualitätsunterschieden. Österreichische Slam Poetry ist eben anders, das österreichische Publikum ist anders. Ich kann es nicht explizit benennen, doch es besteht eine Kluft, die, um es ganz arrogant zu sagen, offensichtlich nicht so schwammig ist, wie die zwischen Deutschland und der Schweiz. Das bedeutet vielleicht  vorerst(!) geringere Popularität beim deutschen Publikum. Oba waßt wos? Des is uns so unendlich wuascht! Innerhalb Österreichs ist die Slam-Szene ja keinesfalls unbedeutend. Aber wenn die Deutschen und Schweizer das glauben, dann ist’s uns nur recht. Wir haben unseren Masterplan. Wir haben nämlich eine Vorhut gezüchtet. Und die kommt perfide durch die Hintertür, wird erst mit wehenden Fahnen empfangen und reißt dann die Zugbrücke von innen nieder. Und glaub mir, vor den Toren wartet die gesamte österreichische Slam-Szene mit Benzinkanistern und hinterlässt auf eurem Imperium eines Tages nur mehr verbrannte Erde.

 

Österreich hat – wie eigentlich ganz Mitteleuropa – durch die Flüchtlingskrise einen Rechtsrutsch erlebt, der sich – ähnlich wie in der Schweiz, anders als in Deutschland – schon in der Tagespolitik niederschlägt. Zuletzt sorgte die Einführung einer Obergrenze für Furore und viel Spott im Netz. Wie bewertest du die politische Lage in Deutschland? Ist Merkels „Wir schaffen das“ mehr Ausdruck eines realitätsfernen, historisch motivierten Minderwertigkeitskomplexes oder sind „die Deutschen von heute“ doch unterm Strich ein recht hilfsbereites und weltoffenes Volk? (Du musst diese Frage nicht beantworten.)

 

Die Flüchtlingskrise in Deutschland und Österreich ist doch eine einzige Pseudo-Debatte, auf die ich mich kaum einlassen möchte. Menschen, die aus Kriegsgebieten fliehen, müssen aufgenommen werden. Punkt. Menschen, die aus sicheren Regionen kommen, und sich hier lediglich wirtschaftliche Vorteile erhoffen, müssen erst recht aufgenommen werden. Die sind ja schon vorab perfekt integriert. Der „Wirtschaftsflüchtling“ ist ja der gelehrigste Schüler des westlichen Neoliberalismus und hat sich wahrscheinlich sogar ein kapitalistisches Ehrenkreuz verdient.

Doch diese gesellschaftliche Spaltung in rechts und links schluckt alle produktiven Kräfte der Bevölkerung und entzweit sie unweigerlich. Die Flüchtlinge überfluten nicht unser Land, doch die Form, in welcher die Krise von den Medien instrumentalisiert wird, überdeckt die Ursachen des Flüchtlingsstroms, die westliche Mitwirkung an der Entstehung von Terror und die innenpolitischen Entscheidungen, die getroffen werden, während die Rechten Flüchtlingsheime anzünden und die Linken Rechtschreibfehler suchen. Aber bei solchen Worten wird einem schnell der Aluminiumhut aufgesetzt. Aber weißt du was? Das ist mir egal, ich habe ein perfektes Hutgesicht, ich kann einfach alles tragen und es sieht trotzdem schick aus.

 

Nächstes heißes Eisen: Frauen im Slam. „Es gibt zu wenig, sie gewinnen zu selten. Und gerade die jüngeren Frauen werden auf Tour manchmal Opfer von sexistischen Bemerkungen und Übergriffen.“ Das stimmt und ist ein Problem, oder?

 

Ich persönlich habe auch schon viele Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen gehabt. Zum Glück gingen diese dabei immer von mir aus. Wenn sich mir jedoch sexuell irrelevante Personen aufdrängen, ist das auch nicht weiter tragisch. Meine männlichen Fans sind nämlich fast durchwegs masochistisch veranlagt, und ihr größtes Vergnügen ziehen sie aus möglichst demütigenden Zurückweisungen.

Da bin ich also recht gesegnet (wenngleich dieser Umstand natürlich auch teilweise eigener Verdienst ist). Ich sehe einfach zu, dass ich das Maß an Sexismus, das ich erfahre genauso an Männer zurückgebe und wenn möglich, auch noch Spaß dabei habe. Aber ich bezweifle nicht im Geringsten, dass viele, eben gerade jüngere Frauen da große Probleme haben. Ich wünschte natürlich, dass es anders wäre, dass Männer in dieser Hinsicht sensibilisiert werden könnten, doch „hope – it’s a cheap thing“. Und so sind wir ab einem gewissen Grade für unsere Unterdrückung selbst verantwortlich. Frauen sind schließlich die einzige Gruppe, die sich trotz einer 51% Mehrheit in der Bevölkerung konstant zum Dorfdeppen machen lässt.

Es gibt genug Frauen, die sich Emanzipation aus familiären, kulturellen, bildungstechnischen Gründen  härter erkämpfen müssen als andere. Doch wenn ich gebildete, aufgeklärte Mädchen in der Kunstszene sehe, die sich einerseits über ihre Opferrolle beschweren, aber gleichzeitig mit verschränkten Beinen auf der Bühne dastehen, wie ein frisch geworfenes, ungeschicktes Kalb, über nichts als ihr Seelenleben und die Liebe referieren und einfach so naiv und süß sind, dass ich mir während ihres Vortrags Insulin spritzen muss… das tut mir leid, aber die sind selbst die größten Agenten ihrer eigenen Knechtung. Provokant gesagt: Frauen, die zuhause konstant „Mädchenlyrik“ verfassen, sind auch nur Schreibtischtäter des Sexismus.

Denn ja, auch hier gibt es eine kollektive Verantwortung. Wenn wir Frauen uns alle einmal eine Weile zusammenreißen würden, konsequente Stärke zeigen und Mädchen bei Germanys Next Topmodel, wenn ihnen die Haare geschnitten werden, nicht heulen, als würde man ihnen alle Extremitäten amputieren… dann erreichen wir vielleicht einstens einen Zustand, in dem auch ich, wenn ich das wollte, einen melancholischen Text schreiben dürfte, ohne mich wie ein Gefängnisspitzel und Verräter fühlen zu müssen.

Natürlich, es ist eine Zumutung, dass du als Frau nicht tun und lassen, anziehen, sagen und schreiben kannst was du willst, ohne einen Respektssturz zu erleben. Aber irgendwann muss sich eine jede entscheiden: will ich Opfer sein und Recht behalten, oder einige vermeintliche Privilegien aufgeben, um zu einer viel größeren Freiheit durchzudringen?

 

Würdest du sagen, dass es für dich von Vorteil ist, eine Frau zu sein?

 

Eine Frau, die geistige Gesundheit und Würde besitzt, weiß, dass (ihr) Geschlecht niemals von Vorteil ist.

 

Hast du mehr weibliche Fans als männliche?

Meine Fans sind erstaunlich divers. Aber manchmal kristallisieren sich zwei Gruppen heraus: Männer um die 50 und postpubertäre Mädchen. Ich persönlich finde das sehr angenehm, weil die dann im Anschluss an meine Shows oft untereinander abartige Pärchen aus vaterkomplexbehafteten Nymphen und altersscheuen Perversen bilden. Die sind dann meine unbewussten Bodyguards, indem sie sich einfach brunftig aufeinander werfen und sich mir dadurch gegenseitig vom Leib halten.

 

Regensburg fühlt sich Österreich – und vor allem Josef Hader – sehr verbunden. „Der Knochenmann“ hatte allein in Regensburger Kinos über 10.000 ZuschauerInnen. Was erhoffst du dir vom MASTER OF THE UNI-VERS?

 

Rotwein im Backstage.

 

Vielen Dank für das Gespräch.

 

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