SPARKASSE MENSCH: Ein Strohhalm gegen Kälte, Hunger und Schmutz

Miteinander ist einfach_Hände_weißSchon seit Dezember 2000 versorgt der Strohhalm e.V. obdachlose und hilfsbedürftige Menschen in Regensburg. 30 ehrenamtliche Helfer betreiben die an der Donau gelegene Begegnungsstätte in der Keplerstraße, nicht weit vom Fischmarkt entfernt. Dort ist jeder willkommen, der Hilfe sucht, sich informieren möchte oder selbst helfen will.  Neben warmer Kleidung und gesundem Essen, wird vor allem die Hygiene großgeschrieben. Es gibt nach Geschlechtern getrennte Duschen, saubere Toiletten und Waschmaschinen. Möglich machen das die Beiträge von über 350 Vereinsmitgliedern, die staatlichen Fördermittel und zahlreiche Spenden von Bürgern aus Stadt und Landkreis. Gründer ist Josef Troidl, Verwaltungsratsmitglied der Sparkasse Regensburg, Stadtrat und Träger der Bayerischen Staatsmedaille für soziale Verdienste. Der 75-jährige Physiotherapeut hat als Vorsitzender die Geschicke und die Entwicklung  Vereins maßgeblich geprägt. Dank ihm und seinem Team muss niemand in Regensburg frieren, hungern oder verwahrlosen. Aber wie kam es dazu? Und wie lange kann er im fortgeschrittenen Alter das Herzens-Projekt noch mit voller Kraft vorantreiben? Wir müssen reden!

 

Lieber Herr Troidl, waren Sie selbst auch schon einmal arm und haben Hilfe von anderen Menschen gebraucht?

Nein, ich bin zum Glück in guten Verhältnissen aufgewachsen und habe auch beruflich meinen Lebensweg gemacht.

Ich frage das natürlich mit einem Hintergedanken. Was treibt einen erfolgreichen Mann wie Sie dazu, sich so stark sozial einzusetzen?

Ich denke, ich bin vor allem von meinen Eltern so erzogen worden. Schon als Kind war es für mich selbstverständlich, dass man anderen helfen muss. Deswegen habe ich mich auch beruflich in diese Richtung orientiert. Ich habe Krankenpflege gelernt, mich als Masseur und Physiotherapeut weitergebildet und bin später dann in die Selbstständigkeit gegangen.

VordemStrohhalm141@ Rainer Fleischmann. All Rights Reserved.Strohhalm 2016

 

Sie sprechen von Ihrer Praxis für Physiotherapie in der Isarstraße, nehme ich an?

Genau. Dort helfen wir seit über 40 Jahren Patienten nach Verletzungen, Operationen, Unfällen, bei chronischen Erkrankungen oder wenn es einfach mal im „Kreuz zwickt“. Wir versuchen, verloren gegangene Bewegungsfreiheit wieder herzustellen. Dabei setzen wir sowohl auf die klassischen Methoden als auch auf moderne Mittel wie Elektrotherapie. Für Ganzkörpermobilisierung, unter anderem für Sportler, nutzen wir unser Kraft-Studio. Sie sehen, da gibt es eine Querverbindung.

Es gab also gar nicht „das“ auslösende Erlebnis?

In einem gewissen Sinne vielleicht doch. Sie müssen wissen: All das, was ich beruflich und gesellschaftlich geschaffen und bewegt habe, wäre ohne die Hilfe meiner lieben Frau gar nicht möglich gewesen. Sie ist leider viel zu früh im Alter von nur 56 Jahren an Krebs gestorben. Und das nachdem kurz zuvor auch einer meiner beiden Söhne im Alter von 27 Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommen war.  Plötzlich fehlten mir zwei der wichtigsten Menschen in meinem Leben. Ich hatte nur noch meinen zweiten Sohn Marcus. Und den kurz zuvor von uns gegründeten Strohhalm.

Das tut mir sehr leid. Ein schlimmer Schicksalsschlag.

Ja. Aber sehen Sie, alles hat seine zwei Seiten. Mein danach folgender Einsatz für den Strohhalm geschah auch zum Eigennutz. Der Strohhalm hat mich gerettet, er wurde zu meiner zweiten Familie.

ZweiteFamilie039@ Rainer Fleischmann. All Rights Reserved.Strohhalm 2016

 

Wenn es eine Botschaft formulieren müssten, die Sie mit dem Strohhalm verbinden – wie würde die dann lauten?

Ganz einfach. Wir müssen versuchen, anderen Menschen zu helfen. Menschen, die nicht so viel Kraft haben. Menschen aus unserer Stadt und dem Landkreis, die nicht so auf der Sonnenseite des Lebens stehen.

Die Zielgruppe sind also vor allem einheimische Obdachlose?

Obdachlose und Arme, heißt es bei uns. Wir haben viel mehr ärmere Menschen bei uns, als Obdachlose. In Regensburg gibt es nur vielleicht 10-15 Menschen, die tatsächlich kein Dach über dem Kopf haben. Deswegen und weil die regelmäßig zu uns kommen, sieht man auch wenig davon auf den Straßen. Jedes Jahr bringen wir so bis zu 20 Menschen wieder dauerhaft zurück in Wohnung und Arbeit.

Wie verträgt sich das Projekt mit der aktuellen Flüchtlingswelle?

Da gibt es im Grunde keine Überschneidungen. Die Flüchtlinge werden ja im Moment von der Stadt vollversorgt, teilweise haben die es besser als die arme einheimische Bevölkerung. Ich will nicht verschweigen: Das kommt nicht bei jedem gut an. Ich beobachte das mit Sorge.

Werkommt085@ Rainer Fleischmann. All Rights Reserved.Strohhalm 2016

 

Wie findet der Erstkontakt mit den Menschen statt? Wer kommt zu Ihnen?

Meist sehen wir die Neuen schon tagelang vorher um unser Haus streunen. Vielen fällt es unglaublich schwer, unsere Schwelle zu überschreiten und um Hilfe zu bitten. Deswegen gehen wir raus und sprechen sie an. Brauchst du was? Hast du Hunger? Willst du dich waschen? Brauchst du neue Schuhe. So beginnt das und dann nehmen wir sie auf und kümmern uns um sie.

Kümmern. Wie läuft das konkret ab?

Wir servieren am Tag zwischen 50 und 80 Essen in zwei Schichten. Die Leute von der Straße kommen bereits zum Frühstück. Dann gibt es noch Mittagessen und später Kaffee und Kuchen. Manche Besucher riechen unangenehm, dann heißt es: erst mal unter die Dusche und frische Klamotten. Hygiene ist das Wichtigste, mit der Sauberkeit wird man zu einem neuen Menschen. Bei uns ist alles hell beleuchtet und blitzblank. Dafür haben wir professionelle Reinigungskräfte. Mindestens genauso wichtig ist Freundlichkeit. Keiner von uns darf irgendwen von draußen dumm anreden. Wer das nicht kapiert, der passt nicht zum Strohhalm. Freundliche Gespräche und viel Zuhören sind wichtig.  Einmal die Woche ist sogar eine Friseurin da und an zwei Wochentagen ein Doktor. Im Gegensatz zu den starren Programmen der großen Organisationen, steht bei uns der Mensch und das Persönliche immer im Vordergrund. Das kann nur das Ehrenamt leisten.

Topf018@ Rainer Fleischmann. All Rights Reserved.Strohhalm 2016

 

Muss man eigentlich irgendetwas nachweisen um im Strohhalm Hilfe zu bekommen? Zum Beispiel, einen Ausweis oder dass man Sozialhilfe-Empfänger ist?

Nein. Das haben wir lange diskutiert, sind dann aber davon abgekommen. Bei uns sollen alle gleich behandelt werden. Klar gibt es immer Leute, die das ausnutzen möchten. Aber lieber fünf Essen zu viel ausgeben, als einen Bedürftigen zu vergessen. Es kommen zum Beispiel auch viele ehemalige Strafgefangene zu uns. Denen fehlt es oft erst mal an allem, die brauchen dringend und unkompliziert Unterstützung. Wir sind dann die erste Anlaufstelle. Wir nehmen sie stellvertretend für die Gesellschaft ohne Fragen wieder auf und geben ihnen so Wertschätzung.  Die gehen danach dann ganz anders auf die Menschen zu. Wir haben kein Recht über andere zu urteilen. Jeden von uns kann es treffen. Das geht Ruckzuck.

Der Strohhalm ist also ein richtiges Resozialisierungsprogramm?

Aber ohne den Staat und Gesetze! Wir machen das alle zusammen. Die Vereinsmitglieder, die Ehrenamtlichen, die Angestellten. Wir kümmern uns, gehen zu den Behörden, machen den Papierkram und helfen, wo wir nur können. Wir sind ein eingespieltes Team!

Team158@ Rainer Fleischmann. All Rights Reserved.Strohhalm 2016

 

Bis dorthin war es ein weiter Weg. Wie lief das damals ab, die Gründung?

Alles begann in Zusammenarbeit mit dem Roten Kreuz mit einer Zweizimmerwohnung im Stadtnorden, mit einer sogenannten Verfügungswohnung, die von der Stadt gestellt wurde. Innerhalb von vier Wochen war die bereits voll belegt und wir sind dann rasch auf eine Vierzimmerwohnung umgestiegen. Nach dem Tod meiner Frau war ich ein halbes Jahr lang einfach psychisch und physisch nicht in der Lage, mich weiter darum zu kümmern. In dieser Zeit ist der Alkohol zu einem ernsten Problem geworden.

Das heißt, die Bewohner haben sich dort betrunken und randaliert?

Ja. Und wenn so etwas geschieht, bekommen sie das Teufelszeug nicht mehr heraus. Das heißt, ich musste das Haus komplett dicht machen, eine Weile warten und dann wieder neu eröffnen. Eine Alternative gibt es in einer solchen Situation nicht. Alkohol und Drogen machen einfach alles kaputt.

X118@ Rainer Fleischmann. All Rights Reserved.Strohhalm 2016

 

Und dann haben Sie am heutigen Standort in der Kepplerstraße neu begonnen?

Ja. Ein uraltes Gebäude, über 600 Jahre alt. Wir mussten das für unsere Zwecke komplett umbauen und renovieren. Dann ist das Dach fast eingestürzt, als Mieter eine Katastrophe. Nach Rücksprache mit dem Oberbürgermeister Schaidinger habe ich dann alle verfügbaren Mittel zusammengekratzt und es 2012 gekauft.

Das heißt, der Verein ist auch tatsächlich der Eigentümer des Gebäudes?

Exakt. Ich sage immer zu meinen Leuten: Der Strohhalm  gehört uns allen. Und notariell ist auch alles sauber geregelt. Falls es aus welchen Gründen auch immer mit dem Verein nicht weitergeht, dann muss die Stadt das Haus übernehmen und für soziale Zwecke nutzen. Es gibt keine finanziellen Gewinnmöglichkeiten.

Trockenundwarm083@ Rainer Fleischmann. All Rights Reserved.Strohhalm 2016_2

 

War die Sanierung sehr aufwendig?   

Das können Sie laut sagen! Das Gebäude war im Mittelalter ein sogenanntes Fleischhaus, dort wurde Fleisch eingelagert und in den dicken Mauern gekühlt.  Zu Kriegszeiten war es eine Freischlachterei, also eine Freibank für arme Leute, die dort billiges Fleisch von alten Viehbeständen bekommen konnten. Später ist eine Schlosserei eingezogen. Danach hat es dort furchtbar ausgeschaut. Wir haben allein 25 Container Schutt rausgefahren. Wir mussten es gegen Hochwasser schützen, es schütten und isolieren und haben eine Bodenheizung einbauen lassen. Dadurch ist es jetzt aber auch wirklich trocken bei uns.

Woher kam das Geld?

Eigenmittel und vor allem Spenden. Ihr Vorstandsvorsitzender Franz-Xaver Lindl hat uns damals freundlicherweise 50.000 D-Mark für den Umbau gespendet. Sonst hätten wir nicht aufmachen können. Man kann mit Fug und Recht behaupten: Ohne die Sparkasse Regensburg gäbe es den Strohhalm nicht.

StrohhalmKüche020@ Rainer Fleischmann. All Rights Reserved.Strohhalm 2016

 

Herr Troidl, nach allem was sie in den letzten 20 Jahren geschafft und geschaffen haben. Gibt es noch einen Traum, den Sie gerne verwirklichen würden?

Ja. Ich würde mir sehr wünschen, dass man den Menschen, die zu uns kommen, in Zukunft  im Anschluss auch eine eigene Wohnung geben kann. Ein kleines Zimmer, ein eigenes Bett, eine gewisse Zeit Ruhe. Wir haben in Regensburg ein Riesenproblem mit den Notunterkünften. Da sind bis zu acht Betten in einem Raum und um neun Uhr wird das Licht gelöscht. Ausländer dürfen nur eine Nacht bleiben. Es darf weder was getrunken, noch gegessen werden. Da hat man es ja im Gefängnis besser! Das kann auf Dauer nicht funktionieren, so gliedert man niemanden erfolgreich ein. Dazu haben wir ein kleines Häuschen in der Metgebergasse gekauft. Sobald die aktuellen Mieter dort ausgezogen sind, werden wir unser Angebot weiter ausbauen. Nachhaltiger Erfolg stellt sich nur ein, wenn man den Teufelskreis „Ohne Arbeit keine Wohnung – Ohne Wohnung keine Arbeit“ unterbricht. Das ist das Ziel. Es wäre schön, wenn ich das noch erleben könnte.

Lieber Herr Troidl, vielen Dank für das Gespräch. Wir wünschen Ihnen ganz viel Kraft und weiterhin viel Erfolg!

(c) Fotografie: Rainer Fleischmann

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