Aktuelles Börsengespräch: Matthias Schmidl zur Lage an den Finanzmärkten

Seit unserem letzten Börsengespräch Ende März hat der DAX beim Bull-Riding ordentlich die Zügel gezogen. Anstatt immer weiter und ohne wenn und aber nach vorn zu preschen, verharrt er aktuell niedriger, bei etwa 11.500 Punkten. Ist die fulminante Ralley etwa schon vorbei? Kratzt der Bär bereits an der Tür? Das wäre nicht ungewöhnlich, schließlich hat auch unser Experte Matthias Schmidl, Leiter der Wertpapierabteilung der Sparkasse Regensburg, in den Börsengesprächen immer wieder betont, dass die Börse keine Einbahnstrasse ist, und dass die Gesamtentwicklung ungesund sei. Aber warum so schnell? Was hat sich geändert? Wir müssen reden!

 

Lieber Herr Schmidl, vor ein paar Monaten war ich fast ein wenig berauscht. Von Fantasien war da die Rede, angeregt von einem sagenhaften Plus, der anhaltenden Niedrigzinsphase und einer großzügigen Geldschwemme der EZB. Und jetzt dieser kleine Kater am Morgen danach. Ich bin neugierig: Hat Sie die abrupte Vollbremsung auch ein wenig überrascht?

 

Nein, Herr Lutz, da muss ich Sie leider entäuschen. Nicht wirklich. Eigentlich haben wir hier in der Wertpapierabteilung sogar sehnsüchtig darauf gewartet. Und wenn ich ganz ehrlich sein darf: Für meinen Geschmack hätte es auch noch ein bisschen tiefer gehen dürfen. Eine zu schnelle und zu steile Aufwärtsentwicklung an den Börsen ist und bleibt ungesund. Das schreit irgendwann nach einer Konsolidierung. Aber die Kräfte der Null-Zins-Politik sind immer noch stark und bringen immer neues Kapital an die Märkte, wodurch rasch frische Erholungsphasen eintreten. Der Grund für die Heftigkeit der Abwärtsbewegung ist im engen Risikolimit vieler Marktteilnehmer zu suchen. Das Limit generiert automatisch Verkaufsorders und verstärkt so die jeweilige Bewegung in Abwärtsphasen.

 

Auf den ersten Blick sehen die Grundkoordinaten der Märkte nicht groß anders aus, als während der Boomphase. Überall kriselt und schwelt es weiter, Ukraine, Syrien, Irak und so weiter. Die EZB schüttet uns regelmäßig mit frischem Geld zu. Und alle Teilnehmer starren weltweit wie Mäuse auf die böse US-Schlange mit Namen Zinswende. Was hat sich aus Ihrer Sicht eigentlich geändert? Oder ist das alles nur Psychologie?

 

Das stimmt, grundsätzlich hat sich nichts verändert. Dass sich die USA nicht ganz so optimistisch entwickeln wie erwartet, haben wir auch bereits vor einigen Monaten vorhergesehen. Sie erinnern sich: Der schwache Euro und damit starke Dollar schwächt die US-Exporte. Auch das ölpreisbedingte, schwache Fracking-Geschäft wirkt dämpfend. Somit ist auch diese Entwicklung keine Überraschung. Die FED wird sich sehr genau überlegen, wie und wann sie mögliche Zinserhöhungen einsetzt. Es gibt bereits erste Stimmen am Markt, die keine Zinserhöhungen oder in nur sehr begrenzten Umfang erwarten. Ich kann das durchaus nachvollziehen. Spielen wir das doch mal durch: Die Fed erhöht die Zinsen auf beispielsweise zwei Prozent. Das zieht massiv Kapital aus dem Euroraum an, da die EZB bereits angekündigt hat, die Zinsen bis 2019 niedrigst zu belassen. In der Folge wird der Dollar stark anziehen und die Parität rückt wieder näher. Das schwächt wiederrum den US-Export auf freilich niedrigem Niveau. Zudem steigen die Staatsausgaben aufgrund der Zinsanhebungen. Und diese Verkettungen können wir jetzt unbegrenzt weiterkonstruieren… und das ist auch exakt der Grund, warum die Märkte derzeit sehr genau hinhören, wenn es von der amerikanischen Notenbank Hinweise auf eine mögliche weitere Vorgehensweise bei der Zinspolitik gibt.

 

Apropos EZB & FED. In den letzten Gesprächen ging es immer sehr viel um die angstgetriebenen Themen Inflation und Deflation. Gefühlt ist es in den Medien wieder etwas stiller darum geworden. Greifen die Maßnahmen der Notenbanken bereits? Steuern wir in ruhigeres Fahrwasser oder ist das nur die Ruhe vor dem großen Sturm?

 

Naja, auf die Inflationsrate hat die EZB-Maßnahme noch keine Auswirkungen. Die Aufkäufe sind ein indirektes Instrument und benötigen Zeit, um Wirkung zu zeigen. Aber Sie haben recht, es ist medial recht ruhig um das Thema geworden. Aber versuchen wir, auch hier etwas in die Zukunft zu blicken: Es sieht so aus, als würde die europäische Wirtschaft an Fahrt gewinnen. In Verbindung mit dem schwachen Euro und dem EZB-Aufkaufprogramm sollte man davon ausgehen, dass wir bald wieder steigende Inflationsraten haben. Offizielles Ziel sind zwei Prozent Inflationsrate, inoffiziell wird die EZB auch sicher gegen etwas mehr nichts haben. Wieso? Nur so ist es möglich, den aufgelaufenen Schuldenberg möglichst schmerzfrei wegzuinflationieren. Mit einer höheren Inflation steigt die Wirtschaftsleistung. Die Schulden, auch wenn sie nominal gleich bleiben, sinken hingegen real. Das wäre doch eine tolle Sache, oder?

 

Für hochverschuldete Staaten ganz gewiss! Jetzt aber zu einem meiner großen Lieblingsthemen, dem Ölpreis. Es scheint, als ob Sie wieder einmal richtig lagen. Er ist gestiegen und nähert sich bereits der magischen 80 Dollar Marke. Ist das der erwähnte Krisenregionsaufschlag? Oder gibt es andere Gründe dafür?

 

Der Öl-Preis erscheint nach wie vor schwer prognostizierbar. Ich bleibe bei den besagten 80 Dollar, auch wenn die Preisfindungsfaktoren derzeit nicht vorhersehbar sind. Aus Nachfragesicht ergibt sich nichts weltbewegend Neues, auf der Angebotsseite hält Saudi-Arabien die Produktion nach wie vor hoch.

 

Unvorhersehbarkeit speist sich auch aus vielen echten und brutalen Konflikten auf der Welt. Aber daneben gibt es den sogenannten „Währungskrieg“. Können Sie für unsere Leser da den aktuellen Frontverlauf kurz und grob skizzieren?

 

Ich wurde mal sagen, die drei großen Notenbank bestimmen die Fronten und die kleinen Länder müssen versuchen, irgendwie zu überleben. Das heißt konkret: Euro und Yen werden massiv geschwächt, der Dollar wird ungewollt stark. Erste Stimmen kommen nun auf, dass die Vereinigten Staaten auch gerne eine etwas schwächere Währung hätten. Und nun kommen die „kleinen“ Länder und Notenbanken ins Spiel. Denen geht eigentlich nur darum, in diesem „Schwächungskrieg“ nicht auszuscheiden und wirtschaftlich ins Hintertreffen zu gelangen.

 

Sie geben das Stichwort. Zu guter Letzt noch zu unseren beiden Ausstiegskandidaten. Der überall befürchtete und bereits eingepreisten Grexit (also dem quälend langsamen Ausscheiden von Griechenland aus der EU) hat nach dem erneuten Wahlsieg von David Cameron jetzt auch noch den Brexit per Volksabstimmung als Gesellschaft bekommen. Besteht Ansteckungsgefahr für die Märkte?

 

Eigentlich fehlen mir mittlerweile die Worte zu diesen Themen. Aber beginnen wir mit dem Grexit: So dilettantisch wie sich die griechische Regierung anstellt, ist grundsätzlich nichts mehr auszuschließen. Aber ich würde mal sagen, dass man eine ungeordnete Insolvenz dennoch um jeden Preis verhindern möchte. Das verlangt der gesunde Menschenverstand. Hinzu kommt, dass sich Europa nicht auf einen Schuldenschnitt einlassen wird. Ergo bleibt noch die Möglichkeit einer Streckung der Schuldenlast auf unbegrenzte oder sehr lange Laufzeit. Ob das nun mit dem Euro oder mit einer eigenen neuen Währung einhergehen wird, ist ungewiss. An den Finanzmärkten gibt es dazu verschiedene Gedankenspiele. Die EZB wird aber nicht umhinkommen, die griechischen Banken zu stabilisieren, um nicht ins Chaos zu rutschen. Das griechische Schauspiel geht also weiter. Aber der letzte Akt steht nun (endlich) bevor.

 

Dann noch der Brexit: Machen wir es kurz wie Asterix: Spinnen die Briten? Ja die spinnen! Sollten sie tatsächlich die wirtschaftlichen Vorteile der EU für eine vermeintliche nationale Entscheidungsfreiheit aufgeben, dann kann ihnen keiner mehr helfen. Man darf nicht vergessen, Großbritannien hat mit dem Pfund eine eigene Währung und kann diese eigenständig steuern.

 

In diesem Sinne: Ich habe da noch ein Wildschwein auf dem Feuer! Herzlichen Dank, lieber Herr Schmidl und bis zum nächsten Mal!

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