Gastgespräch #U20Slam2015: Thomas Spitzer fragt Jason Bartsch

Im Juni startet das von der Sparkasse Regensburg gesponserte Festival U20Slam2015 in Regensburg. Dabei werden 66 Poetinnen und Poeten aus dem gesamten deutschsprachigen Raum über vier Tage und sechs Vorrunden, zwei Halbfinals und ein Finale um den Titel „deutschsprachiger Meister“ kämpfen. Die Meisterschaft ist das erste internationale Poetry-Slam-Festival Regensburgs, neben den Teilnehmern gibt es eine Reihe illustrer Gäste, die als Moderatoren, Supporting Acts, Workshopleiter und Teilnehmer im Rahmenprogramm wie der Eröffnungsgala oder dem Jazz Slam zu sehen sein werden. So auch Jason Bartsch. Der Bochumer Bühnenpoet sorgt mit seinen ekstatischen wie stilechten Auftritten deutschlandweit für Jubelstürme und gewann erst im Mai die nordrhein-westfälischen Meisterschaften, den großen NRW-Slam.

 

Lieber Jason. Was liest du zurzeit?

Lieber Thomas, zurzeit lese ich „Ende gut“ von Sybille Berg. Ich finde ihre rotzige Sprache einzigartig. Wie sie es schafft, uns Menschen so überspitzt zu karikieren, ist der Wahnsinn. Außerdem liebe ich es, wenn Autoren radikal mit ihrer Stellung im Literaturbetrieb umgehen.

 

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„Jugendliche lesen zu wenig, spielen nur Videospiele und hängen bei Facebook ab. Außerdem verkommt ihre Sprache. Statt Dingen wie „Seid gegrüßt, oh gnädger Sir!“ sagen sie nur: Yo! Diggi! Läuft bei mir! Und: ROFL.“ Würdest du diese Aussage unterschreiben?

Auf gar keinen Fall. Es mag vielleicht sein, dass es eine gewisse Anzahl an Jugendlichen gibt, die sich bewusst dem Umgang mit der deutschen Sprache entziehen. Aber es gibt eine noch größere Menge an jungen Menschen, die so spielerisch und schwungvoll mit Worten jongliert, das mir die Spucke wegbleibt. Unter den U20-Slammern gibt es davon etliche. Inspirierende Menschen, die im jungen Alter etwas zu sagen haben und noch wichtiger: wissen, wie sie es sagen wollen. Dabei sollte man vermutlich aber auch nicht außer Acht lassen, dass unsere Sprache sich in einem stetigen Wandel befindet. Es sollte uns also nicht nur darum gehen, altbackene Redensarten und antike Sprichwörter zu bewahren, sondern auch im Laufe der Zeit die Sprache neu zu zentrieren, um dem Modernen Einzug zu gewähren. Und das können noch weniger. Poetry Slam kann genau das.

 

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Sehr gut. Kommen wir gleich zur Sache. Inwiefern macht die folgende Frage Sinn: „Inwiefern ist Slam Poetry Literatur?“ Ist sie vielleicht sogar falsch gestellt wie – sagen wir – die Frage: „Inwiefern ist ein Musical ein Konzert?“ Was kann der Poetry Slam, wo eine klassische Lesung mit Tisch und Wasserglas versagt?

 

Das Format des Poetry Slams wird geläufig als eine lebendigere Form der Literatur beschrieben. Meiner Meinung nach liegt das daran, dass es sich dabei eigentlich um etwas Regressives handelt. Der Poet ist endlich wieder anfassbar geworden. Man sieht als Zuschauer dessen eigene Reaktionen sofort, er lebt den Text und liest ihn nicht vor, er ist im wahrsten Sinne des Wortes authentisch. Gleichzeitig findet eine Interaktion mit dem Publikum statt. Das Publikum gibt – auch vollkommen unbewusst – eine direkte Resonanz auf den Text, in dem es lacht, klatscht, schreit, weint oder sich lieber unterhält. Oft herrscht dabei etwas, was jeder Wasserglaslesung fehlt. Nämlich ein Knistern, das man wohl nur kennt, wenn man selber Slam-Poet ist oder sehr häufig Slams besucht und dabei offen genug ist, sich diesem Sog an Ehrlichkeit hinzugeben. Um die Frage zu beantworten, inwiefern Slam Poetry Literatur ist, müsste man den Unterschied zwischen Page Poetry und Stage Poetry verstehen. Die Texte, die vorgetragen werden, sind aber für mich nicht nur Literatur, wenn sie niedergeschrieben wurden (Page Poetry). Für mich gibt es nämlich keine literarischeren Momente, als Poeten auf einer Bühne ihren Text leben zu sehen (Stage Poetry).

 

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Die Poetry-Slam-Szene gibt sich als sympathisches Potpourri der Themen und Stilrichtungen. Von ernst bis lustig, von gereimt und auswendig bis prosaisch und abgelesen, sei alles dabei, heißt es oft. Wenn man aber die letzten fünf Jahre bilanziert, sind die Ergebnisse ernüchternd: Über 100 Comedy- und Kabarettpreise gingen an aktive und ehemals aktive Poetry Slammer, in der Lyrik-Szene wahrgenommen wird eigentlich nur Nora Gomringer. Hat das eine Bedeutung? Wenn ja, welche? Bildet das Format Scherzkekse wie Marc-Uwe Kling, Nico Semsrott und Torsten Sträter besser aus als lyrische Vertreter von Stage Poetry?

 

Zunächst verstehe ich nicht, was daran ernüchternd sein soll, zu sehen, dass eine Vielzahl an begnadeten Slam Poeten die Kabarettpreise gewinnt und die Fernsehbühnen stürmt. Das ist für mich ein Zeichen von Qualität, dass die Slam-Szene nach außen ausstrahlt. Und ausgestrahlt hat, schon lange, bevor ich überhaupt auf Bühnen stand. Für Lyriker ist es im Literaturbetrieb generell sehr viel schwieriger anzukommen. Man muss sich das in etwa so vorstellen: Der Literaturbetrieb besteht aus einer kleinen Gruppe aus Menschen, die sich untereinander kennen, vernetzen, voranbringen und antreiben. Dort hineinzukommen, ist enorm schwierig. Poetry Slam wird leider – durch die wohl eher oberflächliche Generalisierung vieler Alteingesessener – wenig Beachtung geschenkt, das mag stimmen. Aber das liegt nicht am Poetry Slam selbst, der an sich ja schon nicht als Ausbilder für Kleinkünstler gesehen werden sollte, sondern als Bühne für jeden, der etwas zu sagen hat. Und man wird gehört. Ich weiß nicht, wie lange die Literaturszene sich noch sträuben will anzuerkennen, dass es hier Hunderte von großen Lyrikern gibt und beginnt, sich vielleicht auch mal auf Lydia Daher, Bas Böttcher, Dalibor, Xochil A. Schütz und Theresa Hahl (um nur ein paar Namen zu nennen) zu besinnen, die im Slam ihre Bestimmung fanden und im Literaturbetrieb einen Anklang.

 

Zu Dalibor und Theresa Hahl hast du einen in der Szene sehr bekannten Text. Es geht im Wesentlichen darum, was es für dich bedeutet, ein Slam-Poet zu sein. Erkläre bitte kurz: Ist das ein Lebensgefühl, eine politische Haltung, eine literarische Bewegung, ein Hobby?

Ein Lebensgefühl, Teil einer Bewegung von Menschen zu sein, die allesamt ihr Hobby nicht ohne Leidenschaft machen können. Anders könnte man vor sich selbst nicht rechtfertigen, für fünf Minuten insgesamt acht Stunden Zug gefahren zu sein.

 

Du sagst es! Im zarten Alter von 20 Jahren moderierst du das Halbfinale 2 im Leeren Beutel zusammen mit Sebastian 23. Unser Eindruck ist, dass die Jungpoeten – im Gegensatz zu den „Profis“ – verstärkt ernste, nachdenkliche, politische Themen anpacken. Bei der Planung stellten wir fest, dass von den 66 Teilnehmern fast die Hälfte vegan leben. Wird die Jugend insgesamt vielleicht sogar wieder kritischer? Beschäftigen sich die aktuell 15- bis 20-jährigen mehr mit Politik als die 20- bis 30-jährigen? Wenn ja: Wie kommt’s? Sind das vielleicht sogar Gegenbewegungen – Gitarre statt Elektro, Sofortbildkamera statt Selfiestab, Urlaub in den Bergen statt am anderen Ende der Welt?

 

Ich sehe diese Entwicklung vor allem im Bereich der jungen Künstler. Da ich selber auch im Ruhrgebiet U20-Slams veranstalte, sehe ich die jungen PoetInnen und merke, wie charakterstark sie sind. Die Tendenz geht zur Selbstbestimmung und Einforderung der absoluten Freiheit. Ich sehe Rebellen und Stimmen und jeder hat eine Meinung, das fehlt vielen Menschen sogar noch im hohen Alter. Vielleicht kommt daher die Anti-Haltung, die definitiv existiert. Aber sich in Form einer Gegenbewegung gegen Elektro, Selfie-Stab und eine besondere Urlaubsplanung zu entscheiden, klingt für mich eher nach generellem Trend, nicht nach politischem Idealismus und passiert wohl eher unbewusst. Dass die jungen Slam PoetInnen sich intensiver mit Politik befassen, als die 20- bis 30-Jährigen könnte ich so nicht sagen. Auch in dieser Zwischengeneration wird es eine breite Masse an systemkritischen, starken Stimmen geben. Dass sie in jüngeren Jahren „alternativer“ sind, würde ich unterschreiben, aber mal sehen, wie das ist, wenn sie dann auf die 30 zugehen.

 

Wieso trittst du beim Poetry Slam auf? Gibt es – neben der jeweiligen Aussage deiner Texte – eine übergeordnete Botschaft, die du vermitteln willst?

Ich will zeigen, dass Literatur in all seinen Facetten unter die Haut gehen kann. Ich will Menschen bei Reimen staunen, bei einem guten Versmaß mitnicken und bei tiefgehenden Pointen aufschrecken sehen. Gefühle zu vermitteln kann manchmal viel schöner sein als Botschaften zu entsenden. Und dabei muss man selbst an seine Grenzen gehen, intellektuell und manchmal sogar körperlich.

 

Nachdem du im letzten Jahr Zweiter wurdest, hast du den NRW-Slam dieses Jahr im Mai gewonnen. Er gilt als eine der härtesten und qualitativ hochwertigsten Landesmeisterschaften. Wie geht es weiter? Planst du ein Buch, eine größere Lesetour, Workshop-Projekte in Bochum?

 

Hach, naja. Ich hatte zwei Jahre hintereinander gute Startplätze. Aber ja, es geht weiter. Zum U20Slam2015 in Regensburg kommt die neue Tintenfrische-Anthologie beim Lektora-Verlag heraus, die ich mit Nils Früchtenicht zusammengestellt habe: Eine Textsammlung mit den besten Texten von NachwuchspoetInnen in den letzten zwei Jahren, von denen einige mittlerweile ebenfalls Landesmeister geworden sind oder sogar im Ü20-Bereich auf deutschsprachiger Ebene im Finale standen. Damit geht es dann auch auf Lesetour in ganz Deutschland. Ein Buch von mir ist auch in Planung, aber damit lasse ich mir noch etwas Zeit. Ich bin ja noch jung. Außerdem stehe ich in ständigem Diskurs mit mir selbst, ich versuche besser zu werden, mich zu optimieren und weiterzuentwickeln. Der Wandel ist stetig. In Zukunft werde ich dem Veranstalten weiterhin viel Zeit einräumen, da ich seit 2014 Sebastian23 im Ruhrgebiet stark unter die Arme greifen darf. Was mir auf zwei Ebenen viel bedeutet: Es ist nicht nur eine Arbeit, die mich auslastet und mir alles abverlangt, sondern Sebastian23 ist auch der Mensch, der mir viele Türen geöffnet hat.

 

Sebastian23 war erst im März 2015 beim ausverkauften Poetry Super Slam in der Alten Mälzerei. Und vor gut einem Jahr bist du dort aufgetreten. Was ist dir in Erinnerung geblieben? Worauf freust du dich am meisten bei deiner Rückkehr nach Regensburg?

Regensburg ist eine wunderschöne Stadt und hat mit Thomas Spitzer und Ko Bylanzky zwei in der Szene fest verankerte Gastgeber, die mit Sicherheit ein großartiges Festival auf die Beine stellen werden. Der Mälzeslam ist schon fast eine Institution, auf jeden Fall im gesamten deutschsprachigen Raum bekannt und vor allem: Er hat ein sehr aufmerksames, ehrliches Publikum. Beste Voraussetzungen für eine Meisterschaft, beste Voraussetzungen um jederzeit wiederzukommen.

 

Hast du einen Tipp wie die Teilnehmerinnen und Teilnehmern des
U20Slam2015 die Meisterschaft angehen sollen?

Sie sollten es genießen, Leute kennenlernen, eine schöne Zeit haben, sich vernetzen, Nummern austauschen, Spaß haben, ihr Bestes geben, aber nicht zu streng mit sich selbst sein, sich gegenseitig inspirieren und diese einzigartige Möglichkeit schätzen: Teil des größten Nachwuchsfestivals für das performte Wort zu sein, das es in der deutschen Sprache gibt. Ich freue mich auf euch!

 

Dankeschön, Jason. Regensburg freut sich auf dich!

(c) Das Titelfoto ist von Leah Zymny, das zweite Foto von Jakob Kielgaß, das Dritte von Coo Pajaro.

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