Aktuelles Börsengespräch: Matthias Schmidl zur Lage an den Finanzmärkten

Seit unserem letzten Börsengespräch im Juli sind die Finanzmärkte nicht zur Ruhe gekommen. Vor allem die weltweiten Krisen machen Anleger nervös: Der Ukraine-Konflikt ist immer noch nicht beigelegt, die gefährliche Ebola-Seuche legt ganze Teile von Afrika lahm und droht, auch nach Europa zu schwappen. Gleichzeitig hat sich mit dem Terror und den Expansionskriegen des sogenannten Islamischen Staates (IS) ein weiterer, gefährlicher  Brandherd im Nahen Osten etabliert. Anfang Oktober haben sich dann auch noch wichtige Eckdaten der europäischen und auch der deutschen Wirtschaft verschlechtert: Aufträge, Produktion und Export brechen ein, der DAX verlor im Oktober über fünf Prozent seines Wertes und liegt zur Zeit deutlich unter 9.000 Punkte. An der Nervosität der Börsianer konnten auch die mit Spannung erwarteten IPOs von Alibaba, Zalando und Rocket Internet nichts ändern.  Höchste Zeit, mal wieder mit unserem Experten, Matthias Schmidl, dem Leiter der Wertpapierabteilung der Sparkasse Regensburg, zu sprechen.

 

Herr Schmidl, rechtzeitig zum diesjährigen Start des Planspiels Börse geht es an den Finanzmärkten hoch her. Auch das Team der Sparkasse Regensburg, die „Belfort Boyz“, bekamen das in den ersten Handelswochen gleich heftig zu spüren. Haben Sie persönlich einen generellen Rat für solche Phasen? Erst mal Ruhe bewahren und der eigenen Strategie vertrauen? Oder schnell reagieren und Verluste sofort begrenzen?

 

An der Börse sind wir immer wieder mit Phasen plötzlich zurückkehrender Volatilität konfrontiert. Grundsätzlich gilt, in derartigen Börsenzeiten Ruhe zu bewahren.  Dies gilt jedoch nur für den langfristig orientierten  Aktienanleger. Den Teilnehmern unseres Planspiels Börse kann man dies nur sehr eingeschränkt empfehlen. Bei Investitionen über einen kurzen Zeitraum sollte man Verluste eingrenzen und Strategien notfalls schnell überdenken.

 

Zurück zur Realität. Das letzte Mal haben wir viel über die umstrittene Leitzinsstrategie der EZB diskutiert. Sie selbst gingen davon aus, dass es frühestens im Herbst zu einer Entscheidung kommt, falls sich die Inflationsrate im Euroraum weiter niedrig entwickelt. Doch dann kam Anfang September überraschend alles ganz anders: Draghi senkte den Leitzins noch tiefer ab. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

 

Die letzte Zinssenkung  der EZB hat die Märkte tatsächlich überrascht. Hiervon waren nur die wenigsten Marktteilnehmer ausgegangen. Die tatsächlichen Auswirkungen auf die Wirtschaft sind jedoch begrenzt. Hat ein Unternehmen bei einem Leitzinsniveau von 0,15 % über keine Investition nachgefragt, so wird es dies auch bei 0,05 % vermutlich nicht tun. Vielmehr will Herr Draghi mit dieser Entscheidung seiner Entschlossenheit Nachdruck verleihen, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um dem Eurosystem Stabilität zu verleihen. Vom Grundsatz her ist die Entscheidung vertretbar. Die Inflation ist nach wie vor äußerst gering und weit von dem ausgegebenen Ziel von 2 % entfernt. Und die Geldwertstabilität ist schließlich die Hauptaufgabe der EZB.

 

Hat die EZB-Entscheidung zur Leitzinssenkung den rapiden Verfall des Euro gegenüber dem Dollar begünstigt? Manche Experten gehen ja jetzt sogar davon aus, dass der Euro spätestens in ein paar Jahren mit dem Dollar gleichzieht. Was für Auswirkungen hätte das für die europäische Wirtschaft?

 

Natürlich hat die EZB mit der Zinssenkung den starken Kursrückgang des Euro in den letzten Wochen befördert. Hinzu kommen die Zinserhöhungsphantasien aus den USA. Beides gemeinsam stärkt den Dollar und belastet den Euro. Herr Draghi wird diese Entwicklung nicht bedauern. Man könnte sogar vermuten, dass er tatsächlich sogar auf eine Schwächung des Euro durch seine Zinssenkung gehofft hat. Ein schwacher Euro hilft der europäischen Wirtschaft, ihre Güter im Ausland günstiger anzubieten. Sie wird somit wettbewerbsfähiger. Der Trend zur Euro-Schwäche wird zudem durch die Shortpositionen zahlreicher spekulativer Investoren zusätzlich verstärkt.  

 

Wie lange wird das noch so weitergehen?

 

Ich kann mir vorstellen, dass diese Entwicklung noch etwas anhält, allerdings dürfte diese spätestens bei einem Wechselkurs von 1,20 EUR/ $ beendet sein.  Dies hat den Hintergrund, dass auch die USA keine massiv stärkere Währung haben wollen. Solche Tendenzen  konnte man sich vor einigen Jahren nicht vorstellen, aber ja wir sind in einem Wettlauf um die schwächste Währung angekommen. Und dies betrifft nicht nur Euro und Dollar, sondern auch den Yen.

Welche Auswirkungen eine zu starke Währung haben kann, sehen wir derzeit an der Schweiz. Was grundsätzlich positiv ist, stellt die Schweizer Unternehmen vor große Herausforderungen. Sie können mit einem derart starken Schweizer Franken ihre Waren nur schwer ins Ausland verkaufen.  Umgekehrt wird es für uns Europäer sehr teuer, in der Schweiz Urlaub zu machen. Also zum Skifahren vielleicht doch eher Österreich der Schweiz vorziehen…

 

In unserem Gespräch im Juli hatten Sie die Hoffnung, dass der Ukraine-Konflikt kein drastisches Risikoszenario nach sich ziehen würde. Doch der tragische Abschuss der MH17 der Malaysia Airlines hat die Karten dann völlig neu gemischt. Die Sanktionsspirale zog sich enger, der Winter naht und potentiell ausbleibende Gaslieferungen könnten das alles zu einem explosiven Gemisch für die Börsen werden lassen, oder?

 

Der Konflikt in der Ukraine mit den daraus resultierenden Sanktionen hat sicher zum derzeitigen Abwärtstrend beigetragen, ist jedoch nicht allein dafür verantwortlich. Hier spielen noch eine Menge anderer Faktoren eine Rolle. Unter anderem war die Hoffnung der Märkte, dass die EZB ihr Aufkaufprogramm für verbriefte Wertpapiere nicht nur in Aussicht stellt, sondern auch gleich die Umsetzung bekannt gibt. Aber, was nicht ist, kann ja noch werden…

Angst vor ausbleibenden Gaslieferungen und einer massiven Verschlimmerung der Lage in der Ukraine brauchen wir meiner Meinung nach nicht zu haben. Unsere Lager sind prall gefüllt und Vladimir Putin hat ebenfalls kein Interesse, die russische Wirtschaft noch weiter zu schwächen. Der Abzug der russischen Truppen aus der Grenzregion macht in jedem Fall Hoffnung, dass sich der Konflikt sich über den Winter nicht weiter verschlimmert.

 

Zur immer noch in Europa schwelenden Finanzkrise kommt, dass wichtige deutsche Konjunkturdaten, wie Auftragslage, Produktionswachstum und Export im Moment stark schwächeln. Die Angst, die Finanzkrise könnte sich verschlimmern oder gar zur Geldmarktkrise werden, wächst. Hilft da der Blick der Anleger nach Amerika oder Asien?

 

Dass die deutschen Konjunkturdaten derzeit schwächelt, ist nicht zu leugnen. Allerdings sollte diese Schwächephase nur von kurzer Dauer sein. Die deutsche Wirtschaft hat sich von den geopolitischen Konflikten beeindrucken lassen, und die Unternehmen halten sich zurück. Spätestens zu Beginn des Jahres 2015 sollte diese Zurückhaltung wieder weichen.

Amerika ist definitiv einen Blick wert. Die Wirtschaft entwickelt sich stabil und kann gute Wachstumsraten vorzeigen. Die vielbeachtete Arbeitslosigkeit ist auf einem sehr guten Weg und hat die Notenbank dazu bewogen, über Zinserhöhungen im nächsten Jahr nachzudenken. Amerika erscheint derzeit wirtschaftlich robuster als Europa. Dies könnte sich in einer besseren Börsenentwicklung in den nächsten Monaten niederschlagen.

In Asien muss man stark differenzieren. Japan befindet sich derzeit in der Orientierungsphase. An die gute Entwicklung des letzten Jahres kann nicht angeknüpft werden, und die Konjunkturentwicklung lässt an Dynamik vermissen. Wo der Weg hinführt, ist aus meiner Sicht offen, und daher erscheint ein Investment hier sehr spekulativ. China hingegen bestimmt nach wie vor sehr stark unsere Exportwirtschaft und dürfte sich die nächsten Jahre politisch gewollt mit stabilen 7 % entwickeln. Ein Investment erscheint mittelfristig aussichtsreich.

 

Eigentlich müssten die weltweiten Krisen doch den Gold- und Silberpreis als sicheren Hafen in die Höhe treiben. Aber das Gegenteil ist der Fall. Und auch der Ölpreis fällt immer tiefer. Haben Sie da eine schlüssige Erklärung für? Ist jetzt vielleicht sogar der richtige Zeitpunkt, um in Rohstoffe einzusteigen?

 

Sowohl der Gold-  als auch der Silberpreis reagieren sehr stark auf inflationäre Tendenzen. Diese sind aktuell nicht vorhanden, und dies führt zu einer geringen Nachfrage nach besagten Edelmetallen. Hinzu kommt, dass die Angst um unser Finanzsystem seit der Rede von Herrn Draghi im September 2012 massiv abgenommen hat. In der Finanzkrise haben viele Investoren zu Gold und Silber gegriffen aus Angst vor einem Auseinanderbrechen der Eurozone. Wir empfehlen, Rohstoffe als Beimischung mit max. 10-15 % zur Diversifizierung des Vermögens zu nutzen. Wer noch nicht engagiert ist, kann diese Korrektur an den Rohstoffmärkten zu einem Einstieg nutzen.

 

Zum Schluss noch einmal zum Planspiel Börse: Haben Sie vielleicht ein paar Aktien-Geheimtipps für alle jungen Mitspieler da draußen?  

Ein Tipp für die kurze Laufzeit des Börsenspiels ist natürlich schwer.

Aber nach den starken Abschlägen in den letzten Wochen und Monaten könnte die Deutsche Lufthansa ein Wert sein, der bei einer Erholung der Börsen überproportional profitiert. Sollte dies mit einer Einigung im Konflikt mit den Piloten einhergehen, dann könnten Investoren mit einem guten Timing hier auch kurzfristig ein gutes Geschäft machen. Immer vorausgesetzt, die Ebola-Seuche breitet sich in diesem Zeitraum nicht rapide nach Europa und Amerika aus.

 

Herr Schmidl, wir bedanken uns für dieses Interview!

 

 

(Vermerk: Die getroffenen Aussagen basieren auf dem Research der Dekabank. Quellen: Bloomberg, Prognose DekaBank. Die enthaltenen Meinungsaussagen geben unsere aktuelle Einschätzung zum Zeitpunkt der Erstellung wieder. Die Einschätzung kann sich jederzeit ohne Ankündigung ändern. Die Angaben wurden sorgfältig zusammengestellt. Trotz Anwendung der erforderlichen Sorgfalt kann von Seiten der DekaBank keine Gewähr für die Richtigkeit übernommen werden. Die frühere Wertentwicklung ist kein verlässlicher Indikator für die künftige Wertentwicklung.)

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