Interview: Matthias Schmidl über die aktuelle Lage an den Finanzmärkten

Von wegen Sommerpause. Die Lage an den Finanzmärkten wird im Moment von wichtigen Themen und aufregenden Entwicklungen geprägt. Vor allem die EZB und die Ukraine-Krise haben Einfluss auf die Situation, aber auch die Angst vor einer möglichen Deflation und die andauernde Niedrigzinsphase. Höchste Zeit also für mehr Durchblick und Orientierung. Matthias Schmidl, Leiter der Wertpapierabteilung der Sparkasse Regensburg steht uns Rede und Antwort.  

 

Hallo Herr Schmidl, gerade versucht die Europäische Zentralbank (EZB) alles, um die Wirtschaft anzukurbeln. Dafür hat sie bereits den Leitzins auf fast Null gesetzt. Glauben Sie, dass die EZB weitere Lockerungen, in Form einer quantitativen Lockerung, in Erwägung zieht?

Mit einer geringfügigen Senkung der Leitzinsen und flankierenden Maßnahmen zur Stärkung des Transmissionsprozesses versucht die EZB, den Risiken zu niedriger Inflationsraten entgegenzuwirken. Sollte sie in den nächsten Monaten die Notwendigkeit einer weiteren Lockerung sehen, bliebe ihr wohl kaum eine Alternative zu breit angelegten Wertpapierkäufen. Hierfür hielt Präsident Draghi auf der Pressekonferenz die Tür grundsätzlich geöffnet. Er gab aber auch keine Signale, dass die EZB einem solchen Schritt deutlich näher gekommen wäre. Trotz anders lautender Bekundungen bestehen im EZB-Rat unseres Erachtens nach wie vor große Ressentiments gegenüber einer quantitativen Lockerung. Denn die Notenbanker befürchten sowohl nachlassende Konsolidierungs- und Reformanstrengungen der Regierungen, als auch zunehmende Risiken für die Finanzmarktstabilität. Deshalb bevorzugt die EZB zielgerichtete Maßnahmen zur Stimulierung der Kreditvergabe gegenüber breit angelegten Wertpapierkäufen. Sofern ein weiterer, besorgniserregender Rückgang der Inflation ausbleibt, dürfte sich die EZB nun einige Monate Zeit nehmen, um den Erfolg ihres Maßnahmenpakets zu beurteilen. Eine Entscheidung über eine quantitative Lockerung fällt damit wahrscheinlich frühestens im Herbst. Hierauf deutet auch hin, dass die EZB ihre makroökonomischen Projektionen für die Jahre 2015 und 2016 kaum verändert hat.

 

HAUPTREFINANZIERUNGSSATZ DER EZB

LEITZINSEN

 
 

Welche Auswirkungen haben die Entscheidung der EZB auf den Euro?

Die EZB war ein wichtiger Einflussfaktor für die Bewegung des EUR-USD Wechselkurses. Kurz vor der Bekanntgabe der EZB-Zinsentscheidung lag der Wechselkurs noch bei 1,364 EUR-USD. Im Zuge der EZB-Pressekonferenz, auf der zusätzliche Maßnahmen neben der Leitzinssenkung zur geldpolitischen Lockerung bekannt gegeben wurden, fiel der Euro gegenüber dem US-Dollar auf 1,3503 EUR-USD und erreichte damit den niedrigsten Wert seit Anfang Februar. Die Wirtschaftsdaten aus den USA gaben gemischte Signale für den US-Dollar. Eine deutliche Enttäuschung war die Schrumpfung des Bruttoinlandsproduktes im ersten Quartal. Andererseits fand der US-Dollar in einem soliden Arbeitsmarktbericht und wichtigen US-Stimmungsindikatoren Unterstützung. Der Zinsvorsprung in den USA und die bessere fundamentale Lage in den USA werden den Dollar auf Sicht der nächsten Monate leicht gegenüber dem Euro aufwerten lassen.

 

US-DOLLAR JE EURO

EURO - Kopie

 
 

Die Ukraine-Krise betrübt die Stimmung an den Finanzmärkten. Ein Ende der Probleme ist noch nicht in Sicht. Inwiefern beeinflusst die Krise die Märkte und welche Auswirkungen ergeben sich daraus für die deutsche Volkswirtschaft?

Obwohl das Risiko einer fortschreitenden Eskalation weiterhin besteht, hat der Ukraine-Konflikt die gute Stimmung an den europäischen Finanzmärkten kaum getrübt, so dass finanzmarktrelevante Auswirkungen weitgehend auf Russland und die Ukraine beschränkt blieben. Sogar der russische Aktienmarkt konnte einen Teil seiner Verluste wieder wettmachen und liegt aktuell nur 4% im Minus im Vergleich zu Anfang Februar.

Weder Russland noch der Westen dürften an einer unkontrollierten Eskalation interessiert sein. Die bisherige Entwicklung hat gezeigt, dass die Sanktionsschwelle des Westens sehr hoch liegt, weil weitgehende wirtschaftliche Sanktionen für beide Seiten sehr kostspielig sind. Damit ist es wahrscheinlich, dass die Ukraine zwar auf absehbare Zeit ein regionaler Krisenherd bleibt, die Beteiligten sich aber auf begrenzte (wirtschaftliche) Sanktionen zwischen EU/USA einerseits und Russland andererseits beschränken werden.

In diesem Szenario erwarten wir jedoch nicht, dass der „Sanktionskrieg“ so weit gehen würde, die Energielieferungen Russlands an den Westen zu beeinträchtigen. Eher würden solche gezielten wirtschaftlichen Sanktionen des Westens Handelsbeschränkungen in einzelnen Branchen umfassen wie auch weitere Sanktionen gegen ausgewählte – auch finanzielle – Unternehmen. In diesem Fall werden wohl einzelne Sektoren oder Unternehmen mit einer starken Russland-Ausrichtung leiden. Das Wachstum der gesamten deutschen Volkswirtschaft würde jedoch wenig beeinträchtigt werden. Wenn auch durch unvorhergesehene Ereignisse die Finanzmärkte durch den Konflikt immer wieder beeinträchtigt werden können, bleiben diese Einflüsse jedoch moderat und kurzlebig.

 

Welche möglichen Folgen könnten im schlimmsten Falle eintreffen?

Sollten die politischen Fronten verhärtet bleiben und eine gravierende wirtschaftliche Sanktionsspirale in Gang kommen, dann wären die Auswirkungen für Konjunktur und Kapitalmärkte nicht mehr begrenzt. Versänke die Ukraine in politischem Chaos, wäre die jetzt zugesagte Zahlung von Hilfskrediten unwahrscheinlich, der Zahlungsausfall des Landes wäre die Folge. Eine breitflächige Isolierung der russischen Wirtschaft und ihres Finanzsystems könnte von deren Seite mit einer Unterbrechung der Gaslieferungen beantwortet werden. Sogar militärische Drohungen könnten ins Spiel gebracht werden. Die Folgen wären ein erheblicher Anstieg der Energiepreise in Europa mit einem Konjunkturschock, der in die Rezession zurückführt. Die Risikowahrnehmung an den Finanzmärkten würde sprunghaft und nachhaltig ansteigen. Diesem drastischen Risikoszenario messen wir aber nach wie vor nur eine geringe Eintrittswahrscheinlichkeit bei.

 

BRUTTOINLANDSPRODUKT DEUTSCHLAND

DEUTSCHLAND

 
 

Die Konjunktur verliert trotzdem deutlich an Fahrt. Die Angst, die Finanzkrise könnte sich verschlimmern, wächst.  Wie sieht denn die Entwicklung der Konjunktur in Europa und speziell in Deutschland aus?

Der Aufschwung im Euroland setzt sich fort. Die europäische Konjunktur ist mit einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 0,2% im Vergleich zum Vorquartal ins Jahr 2014 gestartet. Dies wäre ohne kräftiges Wachstum in Deutschland nicht möglich gewesen. Darüber hinaus war Spanien mit einem BIP-Wachstum von 0,4% im ersten Quartal die zweite Stütze für das Euroland. In Frankreich stagnierte dagegen die Wirtschaft und in Italien schrumpfte sie um 0,1%.

Speziell in Deutschland trifft die Gedichtzeile: „April, April, der weiß nicht, was er will“ auf die Konjunkturindikatoren zu. Starke Auftragseingänge der Industrie und ausgezeichnete Exportzahlen stehen im Kontrast zu einer nur schwach steigenden Produktion und sinkenden Einzelhandelsumsätzen. Unterm Strich überwogen aber die positiven Werte, denn von der Belastung, mit der man in das zweite Quartal gestartet ist, konnte etwas abgebaut werden: Rein rechnerisch könnte das Bruttoinlandsprodukt um 0,2 % im Vorquartalsvergleich wachsen, wenn in den restlichen zwei Monaten nichts außer Stagnation passierte. Das erwarten wir nicht. Unsere Prognose für das Wachstum im zweiten Quartal liegt unverändert bei 0,3 % qoq.

 

EUROLAND VERBRAUCHERPREISE

INFLATION


 

Die Inflation ist in den vergangen Quartalen immer weiter gesunken. Die Stimmen einer Deflation werden lauter. Mal Hand aufs Herz: Besteht wirklich die Gefahr einer Deflation in der Eurozone?

Das schwache wirtschaftliche Umfeld in der Eurozone hat zu einer deutlichen Verlangsamung des Preisauftriebs geführt. Diese Entwicklung ist breit basiert und betrifft nicht nur die Peripherieländer, die unter einer stark erhöhten Arbeitslosigkeit leiden. Auch in Deutschland ist die Inflation in den vergangenen drei Jahren erheblich zurückgegangen.

Dennoch halten wir eine Deflationsgefahren für eher gering. Die Arbeitslosigkeit hat ihren Zenit überschritten und das Lohnwachstum hat sich stabilisiert. Dies sollte keinen weiteren Rückgang der Kerninflation zulassen. Die Inflationserwartungen an den Finanzmärkten und in der breiten Öffentlichkeit haben abgenommen, sind aber weiterhin positiv. Es bestehen keine Anzeichen einer sich selbst verstärkenden deflationären Abwärtsspirale.

Aufgrund der erhöhten Arbeitslosigkeit werden die Lohnanstiege aber noch für lange Zeit gering bleiben. Wir erwarten daher für die kommenden zwei Jahre nur langsam anziehende Inflationsraten.

 

BRUTTOINLANDSPRODUKT USA

USA

 
 

Die Folgen der Finanzmarktkrise sind aufgrund der Globalisierungen auf der ganzen Welt zu spüren. Wie verhalten sich die Volkswirtschaften außerhalb Europas?

Asien bleibt trotz der Wachstumsabschwächung die Region mit der höchsten Dynamik. Gestützt wird das Wachstum vor allem durch den technischen Fortschritt, der durch ein hohes Wachstum der Ausrüstungsinvestitionen getrieben wird. Zudem gibt es eine schnell wachsende konsumfreudige Mittelschicht, und die Urbanisierung setzt sich ungebrochen fort.

In der mittlerweile zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt, den USA, sieht es etwas gedämpfter aus. Die Witterung hat das BIP-Wachstum im ersten Quartal 2014 deutlich belastet. Auch die Arbeitsmarktdaten vom März und April bestätigen Vermutungen einer zeitlich befristeten Wachstumsabschwächung.

In den Emerging Markets sieht es etwas anders aus. Dort existiert ein deutlich höheres Wirtschaftswachstum als in den Industrieländern. Allerdings wird auch hier die Entwicklung durch ein verschlechtertes globales Finanzierungsumfeld belastet. Entsprechend werden die Wachstumsraten wohl geringer ausfallen als noch in den „Nullerjahren“. Die Emerging Markets erwirtschaften immerhin mehr als 50% der globalen Wirtschaftsleistung.

 

GOLDPREISENTWICKLUNG

GOLD

 
 

Gerade in Zeiten schlechter Konjunkturdaten wird verstärkt in Rohstoffe wie Gold investiert. Nicht nur Anleger sondern auch Länder kaufen den kostbaren Bodenschatz. Wie bewerten Sie den Goldpreis und die zukünftige Entwicklung?

Anfang Juni rutschte der Goldpreis aus dem Seitwärtskorridor, in dem er sich zwei Monate zuvor bewegt hatte. Neue Einblicke in den Goldmarkt boten die Ende Mai vom World Gold Council veröffentlichten Daten für das erste Quartal. Diese zeigen, dass die Nachfrage nach Goldmünzen und Barren sehr schwach gewesen ist, während die Abflüsse aus Gold-ETFs aufgehört haben. Die Schmucknachfrage blieb zwar robust, war aber insbesondere in asiatischen Ländern nicht ausgesprochen stark. Die Schwellenländernotenbanken kaufen weiterhin Gold. In Europa hingegen wurde das vierte Goldabkommen der Notenbanken beschlossen, woraus die Absicht hervorgeht, keine nennenswerten Goldbestände in den kommenden fünf Jahren verkaufen zu wollen. Alles in allem sehen wir für den weiteren Jahresverlauf leicht fallende Goldpreise.

 

Herr Schmidl, wir bedanken uns für dieses informative Gespräch!

 

(Vermerk: Die getroffenen Aussagen basieren auf dem Research der Dekabank. Stand: 12.06.2014. Quellen: Bloomberg, Prognose DekaBank. Die enthaltenen Meinungsaussagen geben unsere aktuelle Einschätzung zum Zeitpunkt der Erstellung wieder. Die Einschätzung kann sich jederzeit ohne Ankündigung ändern. Die Angaben wurden sorgfältig zusammengestellt. Trotz Anwendung der erforderlichen Sorgfalt kann von Seiten der DekaBank keine Gewähr für die Richtigkeit übernommen werden. Die frühere Wertentwicklung ist kein verlässlicher Indikator für die künftige Wertentwicklung.)

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Kommentare


Sven schreibt am 17.12.2014 um 17:15 Uhr:

Leider entwickelt sich dann doch das negativ Szenario im Bezug auf die Sanktionsfolgen immer weiter und ein Ende ist noch nicht absehbar. Sichtbar sind jedoch die ersten Auswirkungen auf die beteiligten Wirtschaften innerhalb der EU zu sehen, die mit der Sanktionsspirale einen Absatzmarkt verloren haben der so schnell nicht ersetzt werden wird. Das Ziel Russlands Wirtschaft entscheidend zu schwächen ist auch erreicht worden, hat jedoch immer noch nicht zu einer Entschärfung derr Gesamtsituation führen können.