Aktuelles Börsengespräch: Matthias Schmidl zur Lage an den Finanzmärkten

Seit unserem letzten Börsengespräch im Oktober haben sich die Finanzmärkte wieder positiv entwickelt, der Dax steht aktuell deutlich über 10.000 Punkten. Und das, obwohl der Ukraine-Konflikt immer noch nicht beigelegt wurde und in Paris die Anschläge radikaler Islamisten die Welt erschütterten. Dann die Überraschung: Die Schweizerische Nationalbank (SNB) gab bekannt, dass sie den Mindestkurs von 1,20 Franken pro Euro mit sofortiger Wirkung aufhebt. Eine Woche später öffnet die Europäische Zentralbank (EZB) die Geldschleusen und kauft im großen Stil Staatsanleihen an. Genau der richtige Zeitpunkt, mal wieder mit unserem Experten, Matthias Schmidl, dem Leiter der Wertpapierabteilung der Sparkasse Regensburg, zu sprechen.

 

Herr Schmidl, warum hatte eigentlich fast kein Experte mit dem Schritt der SNB gerechnet?

 

Nun gut, die SNB genießt nun mal höchste Glaubwürdigkeit am Markt. Sie hat den Mindestkurs über drei Jahre lang stabil gehalten. Niemand hat ihr Vorgehen in Zweifel gezogen, da die Schweizer Notenbank in der Vergangenheit immer Wort gehalten und sich selbst gegen Spekulanten standhaft erwiesen hat. Viele Marktteilnehmer hatten sich an die Untergrenze von 1,20 pro Franken gewöhnt und andere Themen und Probleme in den Fokus gerückt. Denken Sie nur an die schwelende Krise in der Ukraine, den fallenden Ölpreis oder die Politik der großen Notenbanken.

 

Zur EZB kommen wir gleich. Bleiben wir noch etwas bei der Schweiz. Die SNB begründete ihre Entscheidung lapidar mit dem Satz, dass die „Durchsetzung und die Aufrechterhaltung des Euro-Franken-Mindestkurses nicht mehr gerechtfertigt seien, weil der Euro gegenüber dem US-Dollar deutlich abgewertet und sich damit auch der Franken zum US-Dollar abgeschwächt habe“. Teilen Sie diese Auffassung? Gab es aus Ihrer Sicht irgendwelche Alternativen?

 

Grundsätzlich kann ich die Begründung verstehen. Aber vergessen wir nicht: Die SNB hatte den Mindestkurs ursprünglich eingeführt, um die Schweizer Wirtschaft nicht durch eine sehr starke Währung zu schwächen. Dieses Problem hat sich nicht in Luft aufgelöst, die Schweizer Exporteure sind nicht begeistert über den Kurswechsel der Notenbank. Güter und Produkte aus der Schweiz werden im Ausland teurer. Eine Alternative wäre eine schrittweise Anpassung des Mindestkurses nach unten gewesen. Aber das hätte Spekulanten vermuten lassen, dass die SNB nicht mehr unbegrenzt Kapital zur Kursstützung des Euro zu Verfügung stellt. Der Hauptgrund für die Entkoppelung war aber ein anderer.

 

Und zwar?

 

Der SNB war klar, dass die EZB in den nächsten Wochen und Monaten massiv Kapital zum Aufkauf von Anleihen zur Verfügung stellt. Dies schwächt den Euro weiter und hätte natürlich auch den Wechselkurs zum Schweizer Franken zusätzlich unter Druck gesetzt. Die SNB wäre zur Stützung des Mindestkurses nichts anderes übrig geblieben, als massiv gegenzuhalten. Das hätte sich zu einer ernsten Belastungsprobe für die Eidgenossen entwickelt. Mit ungewissem Ausgang.

 

Was bedeutet das jetzt für deutsche Anleger? Soll man überhaupt reagieren und wenn ja wie?

 

Für den deutschen und europäischen Anleger war das zwar eine überraschende, aber keineswegs nachteilige Entscheidung. Aktien, die in Schweizer Franken an der Züricher Börse notiert sind, haben innerhalb weniger Minuten an den europäischen Börsen über den Währungseffekt 20 Prozent Gewinn erzielt. Dadurch wurden die Kursverluste, die die Schweizer Indices nach der Entscheidung verzeichnet haben, mehr als aufgepuffert.

Ganz anders sieht es natürlich für die Währungskreditnehmer in Franken aus. Diese müssen noch einmal schmerzliche Verluste hinnehmen, nachdem sie schon vor einigen Jahren unter den Kursverlusten gelitten haben. Anlegern würde ich also derzeit empfehlen, die Finger von Anlagen in Franken zu lassen, bis sich die Situation beruhigt hat und die Schweizer Währung ihren „fairen Marktwert“ gefunden hat.

 

In der Konsequenz wird der Franken augenblicklich härter, und der Euro weicht sich weiter gegenüber dem Dollar auf. Sie meinten im Herbst, dass im Interesse der Amerikaner  spätestens bei einem Wechselkurs von 1,20 EUR/$ damit Schluss sein sollte. Jetzt liegen wir deutlich darunter. Stehen wir vor einem Wirtschaftsboom in Europa, weil der Ölpreis im Keller ist und unsere Waren international immer billiger werden?

 

Ja. Das Zusammenspiel aus günstigem Ölpreis, schwachem Euro und einer extrem expansiven Notenbankpolitik lassen mich zu diesem Ergebnis kommen. Für Europa sehe ich generell positiv in die Zukunft. Allerdings immer unter der Bedingung, dass Italien und Frankreich die dort dringend notwendigen Reformen auch tatsächlich umsetzen.

 

Was meinen Sie: Werden die Amerikaner einem so niedrigen Verhältnis zum Euro tatenlos zuschauen? Steht uns ein „Währungskrieg“ bevor?

 

Ich würde sogar behaupten, dass uns ein Währungskrieg nicht nur bevorsteht, sondern wir bereits mittendrin sind. Etwas weniger martialisch formuliert ist es ein „Wettlauf um die schwächste Währung“.

Die aktuelle sehr schwache Entwicklung des Euro, die natürlich durch die EZB-Politik und insbesondere die Zinserwartung in den USA ursächlich bedingt ist, wird durch viele Spekulanten noch verstärkt. Ich denke, dass dieses spekulative Kapital nach der Wahl in Griechenland und der Bekanntgabe des Aufkaufprogramms der EZB nun nach und nach wieder aus dem Markt geht.

Amerika ist mit diesem sehr starken US-Dollar sicher nicht glücklich, momentan läuft aber die Wirtschaft dort ganz ordentlich und es besteht kein unmittelbarer Zugzwang. Aber nehmen wir doch einfach mal an, die wirtschaftliche Dynamik schwächt sich im Jahresverlauf etwas ab und die FED (Federal Reserve) beschließt, die Zinsen gar nicht oder nur marginal anzuheben. Dann könnte sich die Währungsentwicklung auch ganz schnell wieder in Richtung des Euros drehen.

 

Die Märkte reagierten auf die Neuigkeiten aus der Schweiz zunächst mit Verlusten. Dann stieg der DAX zügig über die 10.000 Punkte, auch in der Erwartung, dass die EZB nun doch im größeren Umfang Staatsanleihen (Quantitative Easing) kaufen werde. So kam es auch: Die europäische Zentralbank hat ein gewaltiges Aufkaufprogramm für Anleihen bekannt gegeben. Was wird da eigentlich gekauft und wie viel?

 

Die EZB wird europäische Staatsanleihen mit Laufzeiten von 2-30 Jahren, Anleihen von EU-Institutionen und Unternehmensanleihen kaufen. Der Umfang kann bis zu 1,14 Billionen Euro betragen und wird schrittweise mit circa 60 Mrd. Euro monatlich bis zum September 2016 aufgebaut. Aufgeteilt sind die Käufe nach dem Landesanteil am EZB-Kapital, das heißt, es werden hauptsächlich deutsche Bundesanleihen, gefolgt von französischen und italienischen Papieren gekauft. Nur 20 Prozent der Anleihekäufe unterliegen der gemeinsamen Risikohaftung.

 

Was will die EZB mit diesem Programm erreichen?  Welche Effekte sind zu erwarten?

 

Die Zentralbank sieht sich derzeit mit einer sehr geringen Inflation konfrontiert. Sie versucht diese durch eine massive Liquiditätsausweitung zu befeuern. Ob der Aufkauf von Staatsanleihen nun direkt die Inflationsrate ankurbelt, ist volkswirtschaftlich umstritten. Aber allein durch die damit verbundene Schwächung des Euro-Wechselkurses wird die Wirtschaftsentwicklung unterstützt werden. Das sollte zu mehr Wachstum und einer höheren Inflation führen.

Zudem hofft die EZB durch die Aufkäufe die Kreditvergabe der Banken anzukurbeln. Dies dürfte in Deutschland nur begrenzt funktionieren. In den schwächelnden EU-Staaten Italien, Frankreich, Portugal und Spanien könnte dies schon Wirkung zeigen, aber es gibt keine Automatismen. Ein weiterer Effekt ist, dass die Renditen der besagten Staatsanleihen weiter fallen und so die Finanzierungen der Staaten erleichtert werden.

 

Warum ist der Umfang so enorm? Umgerechnet und bar auf die Hand würde jeder Bürger der EU etwa 3000 Euro von der EZB bekommen.

 

Ganz einfach, weil die EZB damit auch ihre Entschlossenheit signalisieren möchte, massiv gegen eine drohende Deflation vorzugehen. Ein halbherziges Eingreifen hätte die Märkte nur wenig überzeugt. Mit dieser Strategie hatte Mario Draghi bereits im September 2012 mit seiner Rede zur Stabilität der Eurozone („whatever it takes“) großen Erfolg.

 

Bei unserem letzten Interview im Oktober sprachen Sie sich (auch wegen der anhaltenden Niedrigzinsphase) für die Attraktivität von Wertpapieren aus. Ist jetzt erst Recht der Zeitpunkt gekommen, um stärker in Aktien zu investieren? Oder wird das Risiko einer Blasenbildung durch zu viel billiges Geld nun doch zu groß?

 

Auch wenn die Märkte nicht mehr billig bewertet sind, bleiben Aktien alternativlos. Wenn wir eine Blasenbildung sehen, dann in anderen Assetklassen. Ich gehe aber auch dort nicht von einem Platzen dieser Blasen aus, sondern vielmehr davon, dass auch der Aktienmarkt teurer wird. Das heißt, dass die Kurse weiter steigen sollten, aber auch die Schwankungen zunehmen werden.

 

Sie empfehlen, Rohstoffe als Beimischung mit maximal 10-15 Prozent zur Diversifizierung des Vermögens zu nutzen. Der Goldpreis ist nach einem ereignislosen Jahr 2014 in den letzten Wochen geradezu explodiert. Ist es eine gute Idee, das Engagement in Gold und Silber jetzt auszubauen?

 

Wer noch keinen Rohstoffanteil in seinem Vermögen als Beimischung besitzt, kann sich jetzt zu immer noch günstigen Kursen einkaufen. Gold und Silber scheinen nach einer langen Durststrecke einen Boden gefunden zu haben.

 

Stichwort: negative Zinsen. Viele deutsche Anleger und Sparer haben regelrecht Angst davor. Wenn man den Medien glauben kann, werden sie auch für die breite Masse immer wahrscheinlicher, denn die Banken können die schlechten Konditionen am Geldmarkt nicht unendlich lang ausgleichen. Was kommt?

 

Ich bleibe dabei. Für den Privatkunden wird es keine negativen Zinsen geben. Er wird sich aber bis auf weiteres mit einer Null-Verzinsung abfinden müssen. Bei institutionellen Kunden sieht das anders aus. Bei großen Summen verlangen schon heute viele Banken eine Verwahrgebühr, was ja unter dem Strich einem Negativzins entspricht. Solange die Aktienmärkte stabil laufen, müssen wir „zinslos glücklich“ werden!

Herr Schmidl, wir bedanken uns für dieses Interview!

(Vermerk: Die getroffenen Aussagen basieren auf dem Research der Dekabank. Quellen: Bloomberg, Prognose DekaBank. Die enthaltenen Meinungsaussagen geben unsere aktuelle Einschätzung zum Zeitpunkt der Erstellung wieder. Die Einschätzung kann sich jederzeit ohne Ankündigung ändern. Die Angaben wurden sorgfältig zusammengestellt. Trotz Anwendung der erforderlichen Sorgfalt kann von Seiten der DekaBank keine Gewähr für die Richtigkeit übernommen werden. Die frühere Wertentwicklung ist kein verlässlicher Indikator für die künftige Wertentwicklung.)

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